Tijd voor een lengthy bijdrage. Waar ik overigens al op zondag 2 september in ‘Aries’ mee wilde komen. Namelijk de afronding van het samenvattingsproject van Lorenzo Ravagli bij het boek van Wouter Hanegraaff, ‘Esotericism and the Academy: Rejected Knowledge in Western Culture’. Dit uitgebreide bericht wordt na ‘Spiritus Mundi’ op 28 juli de vijfde en laatste keer dat ik dit boek opvoer; het zal bestaan uit de volgende zes gedeeltes:
Wissenschaft und Esoterik XXII – Magnetische GeschichteWaarbij u ook het volgende moet bedenken:
Wissenschaft und Esoterik XXIII – C.G. Jung und das Unbewusste des Westens
Wissenschaft und Esoterik XXIV – Religionismus und Aufklärung im 20. Jahrhundert – Eranos und Frankfurter Schule
Wissenschaft und Esoterik XXV – Von Peuckert bis Yates
Wissenschaft und Esoterik XXVI – Antoine Faivre, Henry Corbin und die Esoterikforschung
Wissenschaft und Esoterik XXVII – Restitutio ad Integrum
‘Die unter dem Titel »Wissenschaft und Esoterik« veröffentlichte Folge von Beiträgen wird demnächst als zusammenhängender Text auf anthroweb.info in der Abteilung »Beiträge zur Esoterikforschung« veröffentlicht.’
Wat we bij dit alles wel, en zeker voor ‘Antroposofie in de pers’, in het oog moeten houden is wat Ravagli zal schrijven in deel 23 naar aanleiding van Carel Gustav Jung:
‘An dieser Stelle muss auf eine bemerkenswerte Lücke in Hanegraaffs Geschichtserzählung aufmerksam gemacht werden. Sie betrifft genau jene Zeit, als sich in Deutschland zwischen 1900 und 1925 unter dem Namen »Anthroposophie« eine Form von Esoterik zu entfalten begann, die den Anspruch erhob, eine wissenschaftliche Erkenntnisform zu sein. (...)
Hier erhebt sich eine Frage von großer Tragweite: warum ignoriert Hanegraaf die Anthroposophie? Man könnte argumentieren, sie sei für eine Geschichte der Diskurse über Esoterik im Abendland irrelevant, da sie reale Esoterik sein wollte und nicht nur Gerede über sie. Aber das trifft auf den Mesmerismus und Ennemoser ebenfalls zu. Durch die vollständige Ausblendung des geschichtlichen Phänomens Anthroposophie wird die »Wahrheit der Geschichte«, der dieses letzte Kapitel gewidmet ist, eher verschleiert als enthüllt. Aber offenbar hätte eine Auseinandersetzung mit ihr die gesamte Konstruktionslogik der vorliegenden Monografie gesprengt. Denn der Wiederaufstieg der Esoterik als Wissenschaft oder durch die Wissenschaft hätte als Geschichte der Anthroposophie erzählt werden müssen.’
Zodat u geen valse verwachtingen heeft! Niettemin valt er
heel veel van op te steken, juist van het Umfeld,
van alles wat er al gedaan werd en nog gedaan wordt op het gebied van deze
bijzondere vorm van geesteswetenschap. En vooral ook van de personenen die zich
hiermee hebben beziggehouden.
Ravagli noemt bijvoorbeeld, naast de hierboven al
opgevoerde, in het kader van de Eranos-conferenties in deel 23, naast niet bij iedereen bekende ook een flink aantal bekendere illustere figuren: niet alleen Jan Ritsema, Heinrich Zimmer, Friedrich
Heiler, Jakob Wilhelm Hauer, Martin Buber, Louis Massignon, Walter F. Otto en Karl
Kerényi, maar ook natuurwetenschappers als Adolf Portmann en Erwin Schrödinger, en godsdienst- en religiewetenschappers als Gershom Scholem, Henry Corbin,
Mircea Eliade, D.T. Suzuki, Gilles Quispel, Erich Neumann, Gerardus von der
Leeuw, Raffaelo Pettazoni, Ernst Benz, Paul Tillich, Gilbert Durand, James
Hillmann en Antoine Faivre. Zeker niet teveel om op te noemen!
Nauwgezet tekent Wouter Hanegraaff de veranderingen,
transformaties en metamorfoses gedurende de ontwikkelingen in de geschiedenis
van esoterie als wetenschap op, en even nauwgezet volgt Ravagli hem in zijn
spoor. Zodat een grandioos overzicht ontstaat waarvan wij hier een beetje mogen
proeven, in het ongetwijfeld langste bericht ooit op deze plaats.
Laten we daarom gauw beginnen met aflevering 22, ‘Wissenschaft
und Esoterik XXII – Magnetische Geschichte, Posted on 29. Juli 2012’:
‘Seit der Renaissance hat Europa gewaltige Umwälzungen erlebt. All diese Umwälzungen wurden durch Menschen herbeigeführt, die sich von ihren Traditionen abwandten und den Mut hatten, von Grund auf neue Unternehmungen in Angriff zu nehmen. Diese Beobachtung gibt Hanegraaff Gelegenheit, sich über das Verhältnis von Tradition und Innovation in der Esoterik auszulassen. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil, diese sei statisch und resistent gegen Veränderungen, haben die verschiedenen esoterischen Disziplinen im Lauf der Geschichte eine Fülle von Entwicklungen und Innovationen erlebt, was ja auch die bisherige Untersuchung gezeigt hat. Dennoch: die Vertreter des platonischen Paradigmas sahen sich nicht als Erfinder von etwas Neuem, sondern wollten zur alten Weisheit zurück, zu einer universellen Tradition, den vergessenen Geheimnissen und der verlorenen Einheit. Und auch die mehr prozessorientierten Alchemisten verstanden alle Prozesse als organisches Wachstum, als Aufgehen von Keimen, nicht als Eintritt eines unvorhersehbar Neuen.Hierop volgde deel 23, ‘Wissenschaft und Esoterik XXIII – C.G. Jung und das Unbewusste des Westens, Posted on 3. August 2012’:
Das gilt jedoch laut Hanegraaf für unsere moderne Kultur. Die heutigen säkularisierten demokratischen Massengesellschaften können nicht als Erneuerung von etwas Altem, ja nicht einmal als Weiterentwicklung gedacht werden. Sie stellen einen Bruch mit allem bisher Dagewesenen dar. Entsprechend ist auch unsere Vorstellung der Geschichte nicht zyklisch, sondern linear, in die Zukunft gerichtet, und wir verstehen sie als irreversiblen Prozess mit offenem Ende (in Wahrheit, so müssen wir Hanegraaff hier berichtigen, müsste sie nach dieser Deutung der Moderne diskontinuierlich, sprunghaft sein). Auch wenn wir der Entwicklung der Moderne kritisch gegenüberstehen, so Hanegraaff, zweifeln wir doch nicht daran, dass die Kultur und Gesellschaft vorangeschritten ist zu etwas, was vorher nie existierte und dass sie weiter in eine ungewisse, unvorhersagbare Zukunft voranschreiten wird.
Eine solche Weltsicht kann wegen der Freiheit, die sie impliziert, inspirieren. Sie kann aber auch beunruhigen und Angst hervorrufen. Wenn wir nicht wissen woher wir kommen und wohin wir gehen, ja ob wir überhaupt irgendwohin gehen, scheint die Geschichte sinn- und bedeutungslos, sie beginnt und endet im Nirgendwo und der Mensch ist darin ebenso bedeutunglos. Viele Denker haben laut Hanegraaff versucht, diesen nihilistischen Konsequenzen zu entkommen. Zu ihnen gehören auch die Wissenschaftler und Akademiker, mit denen sich der vierte Teil seines Buches auseinandersetzt, die sich von esoterischen Traditionen inspirieren ließen, um der nihilistischen Tendenz der Moderne ein alternatives Bild der Welt und der Geschichte entgegenzusetzen. Ihre Entwürfe sind für die Entstehung der wissenschaftlichen Esoterikforschung von großer Bedeutung.
Die neuen Sichtweisen, welche die betreffenden Denker entwickelten, waren bestechend, manchmal von beflügelnder Kreativität, aber sie sind als Grundlage für die wissenschaftliche Erforschung der Esoterik nach Hanegraaffs Auffassung leider völlig ungeeignet. Um diese Behauptung zu begründen, wirft er den Blick noch einmal ins 19. Jahrhundert zurück.
Magnetische Geschichte: Romantischer Mesmerismus und Evolutionismus
Die Vorgeschichte der Antinihilisten beginnt mit Franz Anton Mesmer und dem »animalischen Magnetismus«. Dieser ging von der Existenz einer den Kosmos und alle Lebewesen durchdringenden Lebenskraft aus. Krankheiten waren Blockaden im Fluss dieser Lebenskraft und konnten durch bestimmte Techniken wie Handauflegen beseitigt werden. Bei Mesmer durchliefen die Patienten eine dramatische Krise während des Heilungsprozesses, aber sein Schüler, der Marquis de Puységur, entwickelte eine Methode, die die Patienten in Trance versetzte: die Hypnose, die zunächst unter dem Namen künstlicher Somnambulismus bekannt wurde. Die von Mesmer und seinen Nachfolgern entwickelten Techniken und Weltdeutungen stießen eine ganze Reihe von Bewegungen an, die im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts entstanden: vom Spiritismus und Okkultismus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum amerikanischen »New Thought«. Auch die Entdeckung des Unbewussten steht mit ihnen im Zusammenhang und damit die Psychoanalyse und Tiefenpsychologie.
Der Mesmerismus ging auf anthropologische Theorien zurück, die Anfang des 19. Jahrhunderts von deutschen Medizinern entwickelt wurden (J.Ch. Reil, C.A.F. Kluge). Sie unterschieden zwischen dem Zerebral- und dem Ganglien-Nervensystem. Ersteres war das Organ des Bewusstseins, letzteres Organ der unbewussten Seele. Eine große Zahl von Naturwissenschaftlern und Philosophen übernahm diese Unterscheidung: unter anderen Schubert, Hegel, Ennemoser, Passavant, Kieser, Windischmann und Kerner. Durch das Gangliensystem, so die Auffassung, hatte der Mensch Zugang zur Nachtseite der Natur. Das Zerebralsystem beherrscht das Wachbewusstsein mit seinem rationalen Denken und der diskursiven Sprache, aber das Gangliensystem übernimmt das Nachtleben der Seele im Schlaf, wenn sie ihre hieroglyphische Sprache der Bilder und Träume zu sprechen beginnt. Aber nur in Trance offenbarte das Gangliensystem bzw. das Unbewusste sein volles Potential: die Somnambulen zeigten erstaunliche »psychische« Fähigkeiten, sie übten Fernwirkungen aus, waren hypersensitiv, entwickelten einen sechsten Sinn, konnten in die Zukunft oder hellsehen, nahmen Geister und Engel wahr, sprachen archaische, unbekannte Sprachen und hatten mystische Visionen. Am bekanntesten wurde Friederike Hauffe, die Seherin von Prevorst, durch die Berichte ihres Arztes Justinus Kerner 1829. Zu ihr pilgerten Franz von Baader, Schelling, Görres, Schleiermacher und viele andere.
Die Romantik entwickelte die Theorie der beiden Nervensysteme zu einer umfassenden Gegenerzählung zum Rationalismus der Aufklärung. Kerner sprach vom »harten Glasschädel« des rationalistischen »Tagesbewusstseins«, der es von den Intuitionen einer höheren Welt trenne. Dieser stand die bedeutungsvolle nächtliche Welt der Somnambulen gegenüber, die aus unmittelbarer Erfahrung wussten, dass hinter der brutalen Welt der materiellen Existenz eine andere Welt voller Bedeutung und Empathie stand.
Zwei komplementäre Welten mit spezifischen Erfahrungsformen standen sich gegenüber: die Aufklärung reduzierte alles auf eine kalte Logik und diskursive Prosa, das Nachtbewusstsein drückte sich durch tiefsinnige Symbole und eine poetische Sprache aus. In der Trance erwacht die Seele nach Auffassung der Romantiker in jene umfassendere Welt, aus der sie stammt und die ihre eigentliche Heimat ist. Der Rationalist befindet sich dagegen in einem spirituellen Tiefschlaf. Er lebt in einer künstlichen Trennung von seiner eigenen Seele und ist unfähig die Sprache der Bilder und Poesie zu verstehen. Er glaubt, sein Gehirn und seine Sinne bildeten die ganze Welt ab, und begreift nicht, dass sie ihn in Wahrheit daran hindern, die tieferen Geheimnisse der Natur zu entdecken. Blind für ihre spirituelle Dimension, verwirft er die okkulten Mächte und die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Seele als Aberglauben. Aber diese außergewöhnlichen Fähigkeiten sind nichts Wunderbares, sondern durch und durch natürlich, jeder kann sie erwerben. Der erste Schritt besteht darin, den beschränkten Aberglauben des Reduktionismus zu überwinden, der Wissenschaft und Vernunft usurpiert hat.
Die deutschen Romantiker, so Hanegraaf, verteidigten unter Berufung auf neuere wissenschaftliche Theorien und Entdeckungen die wissenschaftliche Überlegenheit einer verzauberten Weltsicht auf paracelsischer und christlich-theosophischer Grundlage. Das Zentrum des Gangliensystems befand sich im »Hypochondrium«, dem Solarplexus, der im 19. Jahrhundert auch als »Herzgrube« bezeichnet wurde. Für Paracelsus und Johann Baptist van Helmont war sie der Sitz des »Archaeus« oder Lebensgeistes. Für Mesmeristen war diese Herzgrube der Sitz der inneren Sinne, durch die von den äußeren Sinnen unabhängige Wahrnehmungen möglich waren. Gegen die kalte rationale Erkenntnis, die sich auf das Gehirn stützte, brachten die Romantiker eine höhere spirituelle »Erkenntnis des Herzens« in Stellung, die mit dem Gangliensystem zusammenhing. Sie erstreckte sich nicht nur auf hellseherische Wahrnehmung, sondern umfasste auch höhere Bereiche der geistigen Welt. Nach dem Vorbild von Paracelsus und Swedenborg wurde das Herz als Abbild der Sonne gedacht, die im Zentrum der Planeten steht, wie das Herz im Zentrum des Organismus und dieses Zentrum des Herzens korrespondierte mit dem unergründlichen göttlichen Licht im Herzen der Schöpfung. Das somnambule Wissen des Herzens war eine Gnosis der göttlichen Welt und diese war der rationalen Erkenntnis des Gehirns und der äußeren Sinne unendlich überlegen.
Indem sie die Rationalität des Tagesbewusstseins als begrenzt und unfähig zu tieferer Erkenntnis interpretierten, hatten die Romantiker eine Argumentationsfigur entwickelt, die alle Prinzipien der Aufklärungsphilosophie und ihres Wissenschaftsbegriffs auf den Kopf stellte. Ein Jahrhundert später sollte C.G. Jung, den Hanegraaff als bedeutendsten Nachfolger der Romantiker im 20. Jahrhundert sieht, ihren Grundgedanken wie folgt formulieren: »Meine Seele kann nicht das Objekt meines Urteilens und Erkennens sein – vielmehr sind mein Urteilen und Erkennen Objekte meiner Seele.« Die damit umrissene Epistemologie hatte zur Folge, dass eine ganze Reihe von Dualismen, die für den Rationalismus der Aufklärung konstitutiv waren, umgedacht werden musste. Ebenso bedeutsam waren die Konsequenzen für die Geschichtsauffassung: alles, was die Aufklärung auf den Kehrichthaufen der Geschichte geworfen hatte – Magie, Weissagung, Hellsehen, Symbole, das Okkulte – wurde zu einer Manifestation der Tiefenkräfte der Seele und zentral für die Entwicklung der Menschheit. Aber da alles, was diesem tieferen Reich der Seele angehörte, universell und zeitlos war, verloren Zeit und Geschichte gegenüber zeitlosen Wahrheiten und äußere Ereignisse gegenüber dem inneren Wesen an Bedeutung.
Die »magnetische Geschichtsschreibung« kam im Werk Joseph Ennemosers über die Geschichte des Magnetismus, das 1884 unter dem Titel »Geschichte der Magie« in revidierter zweiter Auflage erschien, vollumfänglich zur Erscheinung. Er trug eine vollständige Gegenerzählung zur antiapologetischen und aufklärerischen Interpretation der Geschichte der Esoterik vor, eine als hermetisch-platonische Antwort auf Brucker und Colberg.
Die magnetischen Phänomene und somnambulen Zustände waren für Ennemoser zentral für die Bewusstseinsgeschichte der Menschheit. Die Frage nach dem Fortleben des Heidentums im Christentum spielte für ihn keine Rolle mehr, statt dessen standen Naturphilosophie und Wissenschaft im Zentrum. In scharfem Kontrast zum Naturalismus und Positivismus der Aufklärung sah er die Natur als lebendiges Ganzes, das von unsichtbaren »geheimnisvollen und unberechenbaren Mächten« erfüllt ist. Diese Mächte sind weder übernatürlich oder dämonisch (wie die Anti-Apologeten behaupteten) noch illusionär (wie die Aufklärer unterstellten), sondern Erscheinungsformen der inneren Seite der Natur, die sich nur offenbart, wenn das Tagesbewusstsein wenigstens vorübergehend unterdrückt wird. Diese These befand sich im Einklang mit der pietistischen Auffassung von »göttlichen Entzückungen«. Nimmt man das paracelsische und theosophische Fundament des Werkes von Ennemoser hinzu, kann man zu Recht behaupten, es sei die hermetisch-platonische Antwort auf die protestantische Anti-Apologetik.
Ennemoser versteht Magie im Sinne der Renaissance als »magia naturalis«, als »prisca magia«. Sie ist die alte Weisheit, die Summe alles geheimen Wissens, und unterscheidet sich als »wahre göttliche Magie« von der abergläubischen Form der »goetia«, der Zauberei. Das Neue bei Ennemoser ist, dass er diese wahre Magie als eine Äußerung der geheimsten und innersten Kräfte des menschlichen Geistes interpretiert. Die wissenschaftliche Erforschung dieser Magie begann nach Ennemosers Auffassung erst mit Mesmer, daher bezieht sich seine Geschichte auf die Zeit vor Mesmer. Die wichtigsten Erscheinungsformen dieser Kräfte des Geistes sind Visionen, Träume und das Wahrsagen. Magie ist für ihn vor allem eine Erkenntnisform, eine Form der »höheren Erkenntnis«.
Geschichte denkt Ennemoser nach dem Vorbild Herders als Stufengang von Völkern. Sie durchläuft drei Epochen: die alte Welt des Orients, der Ägypter und Israeliten, die Zeit der Griechen und Römer und die germanische Epoche, die mit den alten Germanen und nordischen Völkern beginnt und durch Mittelalter und Renaissance bis in die Neuzeit andauert. Der visionären Gesamtschau erscheint diese Geschichte keineswegs als zufällig, sondern als organische Entwicklung. Sie offenbart ein bedeutungsvolles Drama, sie zeigt, wie die Menschheit ihre eingeborenen Entwicklungsmöglichkeiten allmählich entfaltet: die Bewusstseinsgeschichte verläuft nach einem göttlichen Plan. Wie in Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts« ist bei Ennemoser die Menschheitsgeschichte eine Analogie der Individualentwicklung: sie verläuft durch Kindheit und Jugend ins Erwachsenenalter. Eine andere Metapher ist die des Baumes, der aus einem Samen emporwächst und sich immer mehr in seinen Ästen verzweigt. Schließlich spricht er auch von einer Bühne, auf der zu gegebener Zeit ein neues Volk auftritt, das die ihm von der Vorsehung bestimmte Rolle spielt. Ereignisse, die äußerlich kausal wirken, kennt Ennemoser nicht, im Gegenteil: Jedes äußere Ereignis ist Ausdruck einer inneren Notwendigkeit, Individuen sind letztlich wie bei Hegel Werkzeuge, durch die der Weltgeist seine universellen Zwecke verfolgt.
Die ältesten Völker befanden sich im Kindheitszustand, die Menschheit hing noch an der Nabelschnur der Natur, sie lebte in einem kaum bewussten Traumzustand voller Unschuld. Magische Bewusstseinszustände waren alltäglich, weil der innere Sinn des Menschen durch die Reflexion noch nicht beeinträchtigt wurde, das Leben verlief in friedlicher Harmonie mit dem Unendlichen. Das Göttliche war überall in der Natur gegenwärtig und wurde erlebt, die Menschheit stand unter der Leitung einer wohlwollenden Priesterschaft. Gott, die Seher und Poeten drückten sich in der Ursprache der Bilder aus. Zwar gab es auch Aberglauben und Götzenverehrung, aber Glaube, Liebe und Gehorsam standen im Vordergrund.
Da die Magie für Ennemoser eine menschliche Grundfähigkeit ist, muss er sie nicht auf einen bestimmten geschichtlichen Moment zurückführen, aber er entdeckt überall im Orient, in Indien und China ihre Spuren. Er berichtet über ekstatische, visionäre Zustände und über Heilkunst, die von erleuchteten Priestern in Tempeln ausgeübt wurde. Diese Heilkunst fußte auf einer Form von Naturwissenschaft, die laut Ennemoser auch dem Mesmerismus zugrunde lag. Die Geheimlehren über diese Heilkunst befanden sich im Besitz der Priesterschaft, die sie durch Mysterieninitiationen und mythische Erzählungen weitergaben. Ägypten stellte den Höhepunkt der Entwicklung der Magie im ersten Stadium der Menschheitsgeschichte dar und von hier empfingen viele griechische Philosophen ihre Weisheit. Aber die alten orientalischen Kulturen hatten keine Zukunft, weil sie weder Geschichte noch Entwicklung kannten, sie glichen einer Mumie, deren Leib weder wächst noch zerfällt. Doch es gab eine Ausnahme: das israelitische Volk sollte zum Stamm werden, aus dem die Menschheit durch die Jugend ins Erwachsenenalter eintrat. »Das Judentum«, so Ennemoser, »ist der wahre Lebensbaum, durch den der innere Strom der Entwicklung fließt. Alle anderen heidnischen Völker sind Zweige, die vom großen Baum des Lebens abgerissen wurden, – auch wenn sie weiterleben, können sie sich nicht entwickeln. Das Judentum ist das wahre Mysterium, das im Christentum seinen Idealzustand der Heiligkeit und Vereinigung mit Gott erreichte.«
Die Juden entwickelten eine neue Form der Magie, die sich demütig auf die göttliche Gnade verließ und nicht auf den Größenwahn der menschlichen Autonomie. Das Judentum entwickelte sich von innen heraus und nicht unter ägyptischem Einfluss.
Das zentrale Ereignis der Bewusstseinsgeschichte ist für Ennemoser das Erscheinen Christi, durch den das Judentum seine historische Bestimmung erfüllt, die »absolute Religion« hervorzubringen, die nicht mehr auf ein Volk begrenzt ist, sondern die Menschheit in einem umfassenden Bewusstsein zusammenführt. Durch Alexander den Großen, ein weiteres Instrument der Vorsehung, waren die Bedingungen für diese Vereinigung bereits vorbereitet und Alexandria wurde zum Knotenpunkt für die weitere Entwicklung der Magie.
In der Geschichte der Griechen steht der Mythos im Vordergrund, nicht die Philosophie, ihre Kultur ist ihrem Wesen nach poetisch, was gleichbedeutend mit magisch ist. Der Mythos benutzt die Poesie der Natur um über Naturkräfte zu sprechen, Symbole sind urbildliche Repräsentationen des sich selbst offenbarenden Geistes und wahrer als jede Erkenntnis, die aus der Reflexion entspringt. Die wahre Quelle der Poesie ist die Natur, weil sie selbst poetisch ist. In ihren Schöpfungen drückt sich in realen Bildern der Geist Gottes aus. Dieser Stimme Gottes sollte der Mensch Gehör schenken. Allein der treue Beobachter und Verehrer der Natur vermag ihre geheimen Gesetze zu erkennen, während der Rest der Welt sich dem Göttlichen immer mehr entfremdet und in Illusion und Aberglauben versinkt. Daher waren alle großen Naturwissenschaftler laut Ennemoser fromme Menschen, daher verfällt auch der Hellseher, der in seine Trance erwacht, in ekstatische Bewunderung der Natur, so wie in den Anfängen der Geschichte, als Naturweisheit, Poesie und Religion noch eins waren.
In Alexandria nahm das Christentum durch den Neuplatonismus alle magischen Traditionen der »niedergehenden heidnischen Völker« in sich auf. Ennemoser, der diesen Vorgang der Übernahme positiv sieht, integriert die Erzählung der »philosophia perennis« in das neue Rahmenwerk einer von der Vorsehung geleiteten Evolution.
Die Aufgabe der Christenheit bestand darin, die Welt zu »entzaubern« und die wahre Magie wieder herzustellen: aber nicht die Webersche »Entzauberung« ist gemeint, sondern die Befreiung vom bösen Zauber der schlechten Magie. Der wahren Magie ist seine restliche Untersuchung gewidmet: der Geschichte des animalischen Magnetismus in der Epoche der Germanen. Eine große Rolle spielt dennoch ihr Gegenbild: die vielen Formen des mittelalterlichen Aberglaubens, die schließlich in den Hexenverfolgungen gipfeln. In diesen Auseinandersetzungen wird deutlich, dass Ennemoser letztlich eine »wissenschaftliche Agenda« verfolgte. Der Glaube an Hexerei war ein tragischer Massenwahn und in vielen anderen Erscheinungen drückte sich derselbe Wahn aus: in Geisterbeschwörungen, Goldmacherei, in der »Mystagogie« der Rosenkreuzer und Spiegelpropheten. Auch die christlichen Theosophen, die nach ekstatischen Erfahrungen suchten (von John Pordage über Jane Lead bis zu Swedenborg), betrachtet Ennemoser mit gemischten Gefühlen: zwar gehört vieles, was sie taten, der guten Magie an, aber die Gefahren der mystischen Suche sind groß. Die Geschichte der guten Magie in der Neuzeit beginnt mit Paracelsus und van Helmont, verläuft über Agrippa, Fludd, Campanella und endet mit Cagliostro und Swedenborg im 18. Jahrhundert. Aber der Erzmagus, der tiefere Einsichten als alle anderen in das Leben und den Geist der Menschheit erlangt hat, ist für Ennemoser Jakob Böhme. Nun, da Böhme (in der Romantik) wiederentdeckt wurde und Mesmer die Magie auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt hat, wird der Rationalismus der Aufklärung bald vorüber sein. Der alte Orient und das Griechentum sind vergangen, aber »dem deutschen Geist steht noch eine unendliche Zukunft bevor«. Die bisherige Geschichte der Menschheit hat ihn mit allem Nötigen ausgestattet, um eine endlose spirituelle Aktivität zu entfalten. Mit dem deutschen Geist steht die Menschheit am Beginn ihres Erwachsenenalters, er wird die Völker und Zeiten führen und lehren. Und er wird dereinst auch den in Stagnation versunkenen Orient wieder zu neuem Leben erwecken.
Drei Innovationen Ennemosers sind für den weiteren Verlauf der Geschichte der Esoterik (und für die Argumentation Hanegraaffs) von herausragender Bedeutung: 1. dass er den Mesmerismus bzw. Somnabulismus als Schlüssel für die Geschichte der Magie benutzt, 2. dass er eine von der Vorsehung geleitete Evolution postuliert, und 3. dass er eine Form des Religionismus vertritt.
1. Durch das erste unterscheidet er sich von früheren Historikern der Esoterik, die sich auf philosophische und religiöse Ideen konzentrierten und sich mit den Konflikten zwischen »wahrer Religion« und »heidnischen Irrlehren« befassten. Für Ennemoser gibt es keine solchen Konflikte und die Ideen stehen auch nicht im Vordergrund. Ihm geht es darum, zu zeigen, dass es in der ganzen Geschichte der Menschheit immer Magnetismus und Somnambulismus gegeben hat. Durch diese These wurde er zum Pionier einer neuen Form der Esoterikgeschichte. Bereits zehn Jahre nach dem Erscheinen wurde sein Werk ins Englische übersetzt und in der »Entschleierten Isis« Blavatskys ist Ennemoser der am zweithäufigsten plagiierte Autor. Aber er fand auch schon frühere Nachahmer in der englischsprachigen Welt. Zum Beispiel verfasste der Schotte Colquhoun 1851 eine »Geschichte der Magie«, die eine ähnliche Erzählung bietet wie Ennemoser.
Auch in Deutschland wurden Ennemosers Ansätze weiter verfolgt. Ende des Jahrhunderts erschienen die Bücher von Carl Kiesewetter, 1891 die »Geschichte des neueren Occultismus«, 1895 »Die Geheimwissenschaften« und 1896 »Der Occultismus des Altertums«. Kiesewetter wurde, ähnlich wie A.E. Waite in England, mangels Konkurrenz zur Autorität in Sachen Okkultismus. Seine Werke sind voller Gelehrsamkeit und bieten eine Fülle übersetzter Quellen. Er versteht die westliche Esoterik, ebenso wie Ennemoser, nicht mehr als Synkretismus aus Heidentum und Christentum, sondern als Summe historischer Beweise für die geheimnisvollen Kräfte der Natur und des Menschengeistes, die von der Aufklärung vorschnell verworfen worden sind.
2. Ennemosers Werk ist auch als Typus einer neuen Geschichtsschreibung der Esoterik bedeutsam. Es ist weder eine Niedergangserzählung oder eine Erzählung von der zeitlosen alten Weisheit, noch ein Beispiel für Ideengeschichte, das davon ausgeht, man müsse Autoren aus dem Kontext ihrer Zeit und aus den Einflüssen verstehen, die sie bestimmten, wie die Geschichten Bruckers und Colbergs. Im Unterschied zu diesen stellt Ennemoser die Geschichte als teleologischen geistigen Fortschritt durch Evolution dar und lädt den geschichtlichen Wandel mit spiritueller Bedeutung auf. Aber er macht den Fortschritt auch nicht von äußeren Einflüssen abhängig, sondern sieht in ihm das Wirken der göttlichen Vorsehung. Erst mit dem Niedergang der Romantik und des deutschen Idealismus verlor diese Art von Geschichtserzählung ihre Plausibilität, lebte aber im Okkultismus und im New Age bis heute weiter.
3. Was den Religionismus anbetrifft, so fußte dieser auf der Überzeugung, es gebe eine authentische, spirituelle Erfahrung. Wie Gottfried Arnold kritisierte Ennemoser die endlosen, dogmatischen Streitigkeiten der Schulgelehrten mit ihrem Gehirndenken. In der Geschichte kam es nach beiden Autoren nicht auf den toten Buchstaben, sondern auf den lebendigen Geist an, nicht auf die äußeren Lehren, sondern die innere Erfahrung, nicht auf den Verstand, sondern auf das Herz. Arnolds Geschichtserzählung fußte auf der Dualität von Athen (Verstand) und Jerusalem (Glaube) und ihrer Inkompatibilität, diejenige Ennemosers auf einer vergleichbaren Inkompatibilität zwischen dem diskursiven Tagesbewusstsein, das sich auf das Gehirn stützt und dem bildhaften Traumbewusstsein der Seele. So wie Arnold der Überzeugung war, dass der Glaube nichts mit dem Verstand gemein habe, sah auch Ennemoser keine Möglichkeit, die Wahrheiten der Seele in der Sprache des Gehirns auszudrücken.
Daher zogen weder Arnold noch Ennemoser soziale Kontexte, äußere Einflüsse oder andere kontingente Faktoren bei ihrer Geschichtserzählung in Betracht. Aber dennoch behaupteten beide, Geschichte zu schreiben. Mit einem Wort: Ennemoser ist für Hanegraaff ein Beispiel für das Paradigma des Religionismus, aber mit einem bedeutsamen Unterschied: dem Einbezug der Evolution. Für Arnold gab es keine Entwicklung im Christentum, da die absolute Wahrheit keine Geschichte hat. Ennemoser akzeptierte Entwicklung. Zwar waren die Wahrheiten der Natur und der Seele ewig, aber was sich entwickelte, war die Fähigkeit des Menschen, sie zu verstehen. Daher war für Ennemoser Geschichte auch Bewusstseinsgeschichte.’
‘Der Archetyp von Eranos: Carl Gustav Jung und das Unbewusste des WestensHet vervolg is te vinden in aflevering 24, ‘Wissenschaft und Esoterik XXIV – Religionismus und Aufklärung im 20. Jahrhundert – Eranos und Frankfurter Schule, Posted on 14. August 2012’:
Das folgende Kapitel in Hanegraaffs Buch setzt mit dem Jahr 1930 ein, als in Ascona auf Einladung von Olga Fröbe-Kapteyn jene sommerlichen Zusammenkünfte begannen, die später unter dem Namen »Eranos« in die Geschichte eingehen sollten.
An dieser Stelle muss auf eine bemerkenswerte Lücke in Hanegraaffs Geschichtserzählung aufmerksam gemacht werden. Sie betrifft genau jene Zeit, als sich in Deutschland zwischen 1900 und 1925 unter dem Namen »Anthroposophie« eine Form von Esoterik zu entfalten begann, die den Anspruch erhob, eine wissenschaftliche Erkenntnisform zu sein. Das vorangehende Kapitel endete mit dem Niedergang des Diskurses über Esoterik und seinem Verschwinden in der Trivialliteratur Ende des 19. Jahrhunderts. Danach wurde der Faden der Geschichte von Hanegraaff in der Romantik wieder aufgegriffen, um die nun folgenden Unterkapitel über Eranos und den Beginn der neuen Esoterikforschung vorzubereiten. An die Erzählung vom Niedergang der Esoterik in der Trivialliteratur schließt sich eine Art Aufstiegserzählung an, die das Wiederauftauchen der Esoterik als »Wahrheit der Geschichte« durch die wissenschaftliche Esoterikforschung beinhaltet. Aber diese ganze Konstruktion fällt in sich zusammen, wenn man das Vakuum, das in Hanegraaffs Untersuchung zwischen 1900 und 1930 klafft, mit der in wissenschaftlicher Form auferstandenen Esoterik füllt, die im Werk Rudolf Steiners zutage getreten ist, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer breiten sozialen und kulturellen Bewegung entwickelt hat, die weit über das New Age hinausgeht.
Hier erhebt sich eine Frage von großer Tragweite: warum ignoriert Hanegraaf die Anthroposophie? Man könnte argumentieren, sie sei für eine Geschichte der Diskurse über Esoterik im Abendland irrelevant, da sie reale Esoterik sein wollte und nicht nur Gerede über sie. Aber das trifft auf den Mesmerismus und Ennemoser ebenfalls zu. Durch die vollständige Ausblendung des geschichtlichen Phänomens Anthroposophie wird die »Wahrheit der Geschichte«, der dieses letzte Kapitel gewidmet ist, eher verschleiert als enthüllt. Aber offenbar hätte eine Auseinandersetzung mit ihr die gesamte Konstruktionslogik der vorliegenden Monografie gesprengt. Denn der Wiederaufstieg der Esoterik als Wissenschaft oder durch die Wissenschaft hätte als Geschichte der Anthroposophie erzählt werden müssen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Hanegraaff mit Ennemosers »Geschichte der Magie« zugleich einen nicht unbeträchtlichen Teil der Geschichtsinterpretation Steiners referiert und dass er im anschließenden Kapitel über C.G. Jung diesen als Figur porträtiert, deren mythifizierte Gestalt nicht geringe Ähnlichkeiten mit dem mythisierten Steinerbild aufweist. Aber die einzigartige Synthese aus Aufklärung und Esoterik, die das Lebenswerk Steiners darstellt, ist ein historischer Gegenstand, den die akademische Esoterikforschung unmöglich schweigend übergehen kann. Ließe sie sich auf die aufgeklärte Esoterik der Anthroposophie ein, wäre allerdings die Frage, welche Rolle ihr dann als »Wissenschaft der Esoterik« überhaupt noch zukäme.
Doch sehen wir zu, wie Hanegraaffs Geschichte des esoterischen Diskurses im 20. Jahrhundert weitergeht!
Die Eranoskonferenzen fanden von 1933 bis 1988 statt, als Jan Ritsema, der Nachfolger der 1962 verstorbenen Gründerin, sie beendete. Die Beiträge der Konferenzen erschienen in den »Eranos«-Jahrbüchern. Die Geschichte von Eranos lässt sich in zwei Phasen gliedern, die Zeit bis zum II. Weltkrieg und die Zeit danach. In der ersten Phase war C.G. Jung unbestritten die führende Gestalt. Neben ihm wirkten mit: Heinrich Zimmer, Friedrich Heiler, Jakob Wilhelm Hauer, Martin Buber, Louis Massignon, Walter F. Otto und Karl Kerényi. In der zweiten Phase traten bedeutende Naturwissenschaftler wie Adolf Portmann und Erwin Schrödinger dazu. Ihren Höhepunkt erlebten die Konferenzen in den 1950er und 1960er Jahren unter der Mitwirkung herausragender Religionswissenschaftler: Gershom Scholem, Henry Corbin, Mircea Eliade, D.T. Suzuki, Gilles Quispel, Erich Neumann, Gerardus von der Leeuw, Raffaelo Pettazoni, Ernst Benz, Paul Tillich, Gilbert Durand, James Hillmann und Antoine Faivre.
Was Eranos kennzeichnete, war die Bereitschaft, »Mythen und Symbole Ernst zu nehmen, und deren Bedeutung für die Geschichte und die moderne Kultur zu untersuchen«. Sie standen in Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Gegenstände, die eines gemeinsam hatten: sie alle gehörten jener Kategorie von Themen an, die von der Aufklärung ausgegrenzt und auf den Kehrichthaufen der Geschichte geworfen worden waren. Durch diese Verengung des Weltbildes war es nahezu unmöglich geworden, über Mythen oder Symbole zu sprechen, ohne Themen zu berühren, die mit Mystik, Esoterik, Magie oder dem Okkulten zusammenhingen. Die nachaufklärerische Neigung, alles, was Wissenschaft und Rationalität angeblich entgegengesetzt war, in einen Topf zu werfen, hatte allerdings eine paradoxe Folge: der gesamte Bereich ließ sich begrifflich kaum mehr fassen, da seine Bestandteile viel zu disparat waren. Eranos beschäftigte sich mit einem Gegenstandsgebiet, zu dem alles gehörte, was sich durch seine Widerständigkeit gegen die aufklärerische Rationalität und das moderne Wissenschaftsverständnis auszeichnete.
Die führenden Mitwirkenden schienen von Empfindungen der Dringlichkeit und intellektuellen Verantwortung bewegt, was manchmal zu missionarischen Beschwörungen der »Krise der modernen Welt« führte. Worin bestand diese Krise? Die Aufklärung und der Positivismus, so die Eranos-Auffassung, waren einem gravierenden Fehlurteil erlegen, als sie glaubten, Mythen, Magie und das Irrationale würden verschwinden, wenn sie diese auf den Kehrichthaufen der Geschichte würfen. Der naive Glaube an die Rationalität, die Zivilisation und den Fortschritt waren jedoch durch die Katastrophe der beiden Weltkriege zertrümmert worden. Dieses Trauma hatte viele Gelehrte zu einem neuen Nachdenken über Modernisierung, Zivilisation und Fortschritt bewegt. Zu ihnen gehörte auch C.G. Jung.
Jung war der Ansicht, das »Andere« der westlichen Rationalität werde niemals verschwinden, weil seine Quelle das »Unbewusste« sei. Die primitiven oder wilden Energien des persönlichen und kollektiven Unbewussten konnten eine gewisse Zeit unter die Schwelle des Bewusstseins gedrängt werden, aber die unterdrückten Energien konnten jederzeit wieder ausbrechen und alles in Trümmer schlagen. Manche Zeitgenossen Jungs, wie Klages, Schuler oder George, sehnten diesen Moment geradezu herbei, weil sie den Rationalismus und die bürgerliche Gesellschaft verabscheuten. Ihre Gegner im linken Spektrum wie Horkheimer und Adorno identifizierten den Mythos und das Irrationale mit gefährlicher Regression und Barbarei, kamen aber am Ende zur Einsicht, dass diese Mächte nicht zerstört werden könnten, weil sie zur Dialektik der Aufklärung gehörten. Zwischen diesen beiden Extremen gab es Denker, die den Mythos als zutiefst ambivalent betrachteten, wie zum Beispiel Thomas Mann, der in ihm die Quelle des Lebens und der Kreativität sah, zugleich aber auch eine dämonische Macht des Todes und der Zerstörung, wenn er auf Kosten der »Humanität« zur Entfaltung gebracht werde.
All diesen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit war gemeinsam, dass sie die Existenz von etwas anerkannten, das die Aufklärung übersehen, ignoriert oder unterschätzt hatte: dass weder der Einzelne noch das Kollektiv vom Verstand allein leben können. Wenn das zutraf, welche Rolle sollte dann dem Mythos, dem Symbol und dem Irrationalen im modernen Leben zugewiesen werden?
Das war laut Hanegraaff die Grundfrage von Eranos. Die Antworten waren sehr unterschiedlich. Während Jung eine Integration der bewussten und unbewussten Schichten der Seele befürwortete, erklärte Corbin der Moderne den Krieg. Hanegraaff interessiert die Frage, welchen Einfluss die Eranosgemeinde auf die Art hatte, wie das Gebiet des Esoterischen nach dem II. Weltkrieg begrifflich Gestalt annahm. Jung als dominierender Figur der ersten Phase in der Eranosgeschichte gilt daher zunächst seine Aufmerksamkeit.
Jung wurde als »spätgeborener Romantiker« bezeichnet, Hanegraaff sieht ihn als Nachfolger des Mesmerismus, des Paracelsismus und der christlichen Theosophie. Dies werde schon deutlich, wenn man das erste Kapitel seines Buches »Wandlungen und Symbole der Libido« (1912) lese. Hier charakterisiert Jung zwei Arten des Denkens, so, wie die Romantiker die Tagseite und die Nachtseite des Bewusstseins beschrieben hatten. Die Nachtseite wird von Jung nicht als etwas beschrieben, was vollkommen jenseits der rationalen Tagseite liegt, sondern als eine andere Art von Rationalität. Das träumerische und assoziative Denken herrschte im Altertum vor und führte zur Mythologie, nicht zur Wissenschaft. Dieselbe Art des Denkens praktizieren auch Kinder und Primitive. Jung zieht eine Parallele zwischen Ontogenese und Phylogenese. Der einzelne Mensch rekapituliert in seiner Bewusstseinsentwicklung die Entwicklungsphasen der Menschheit: daher sind die Träume ein Königsweg nicht nur zum Verständnis des Unbewussten, sondern auch unserer kulturellen Vergangenheit. Gewöhnlich wird diese Theorie der Rekapitulation mit Haeckel in Verbindung gebracht, aber bereits Ennemoser vertrat genau diese Auffassung, sie war Bestandteil der Romantik. Die Ansicht, der Mythos sei »der Traum der Völker« und »der Traum der Mythos des Einzelnen«, war eine naheliegende Folgerung.
Wenn also die Traumdeutung der Schlüssel zur Heilung des Individuums ist, dann ist die Mythendeutung ein Weg zur Heilung des Kollektivs. Wenn Gesundung bedeutet, die »Materialien des Unbewussten« Erst zu nehmen und ins Bewusstsein zu integrieren, dann ist es für die europäischen Volker überlebenswichtig, ihr kollektives Unbewusstes nicht zu unterdrücken, sondern zu integrieren. Wer diese Integration unterlässt, entwickelt unweigerlich Pathologien. Die Bilder und Erzählungen unserer Träume beruhen auf denselben grundlegenden Strukturen wie die Mythen und Symbole der Menschheit im allgemeinen: den Archetypen. Die Parallele zum Entwicklungsdenken Ennemosers ist nicht zu übersehen. Das Bewusstsein der Menschheit entwickelt sich von früheren zu späteren Kulturstufen, die europäische Bewusstseinsform ist die derzeit höchste, reifste. Das heißt aber aus der Sicht Jungs nicht, und das ist das neuartige an seiner Deutung, dass sie auch die gesündeste ist. Denn im Verlauf der Reifung werden die früheren Formen des Bewusstseins vom rationalen Bewusstsein abgespalten und das letztere vereinseitigt sich. Die Folge ist eine neurotische Kultur, die jederzeit von Eruptionen der unterdrückten libidinösen Energie bedroht ist.
Jung war mit der Literatur des romantischen Mesmerismus zutiefst vertraut, im Gegensatz zu seinen heutigen Interpreten, die von diesem Kontinent des Denkens so gut wie nichts wissen. Denn genau dieser Kontinent ist es, der laut Hanegraaff erst ein Verständnis der Jungschen Weltsicht ermöglicht, insbesondere erklärt er die bleibende Faszination, die das Okkulte auf Jung ausübte. Jung wusste, dass die hysterischen und somnambulen Patienten der französischen Psychiater dieselben Fähigkeiten und Symptome zeigten, wie sie bereits von Kerner und anderen Romantikern beschrieben worden waren. Ihm war auch klar, dass der moderne Spiritismus aus der Tradition des Mesmerismus hervorgegangen waren, dass er dieselben Techniken benutzte und zu denselben Trancezuständen führte, wie jener. Daher konnte ihm Freuds Forderung, er solle an seiner Sexualtheorie als »Bollwerk gegen die schwarze Schlammflut des Okkultismus« festhalten, nur grotesk erscheinen. Freud schien unter »Okkultismus« all das zu verstehen, was die Religion und Philosophie über die Psyche in den letzten hundert Jahren dank dem Mesmerismus gelernt hatten. Jungs Beschäftigung mit dem Okkultismus war zentral für sein Verständnis der Psychologie. Sein Ziel war es, die Psychologie als Grundwissenschaft für alle anderen Wissenschaften zu etablieren. Voraussetzung dieser Idee war die romantische Sicht auf die Seele als eines Reservoirs mysteriöser Kräfte.
Daraus erklärt sich das laut Hanegraaff »merkwürdige Paradox«, dass Jung, der in seiner Autobiografie wie ein Initiierter erscheint, immer darauf beharrte, empirischer Wissenschaftler zu sein. (Die unausgesprochene Parallele zu Steiner wird hier besonders offensichtlich). Die Mesmeristen betonten, sie erforschten Tatsachen des Bewusstseins, die der natürlichen Welt angehörten, und nichts mit Wundern oder dem Übernatürlichen zu tun hätten. Wenn sich jemand aus der Sicht der Romantiker der Sünde gegen den Empirismus schuldig gemacht hatte, dann die Ideologen der Aufklärung, die die Phänomene des Mesmerismus und Somnambulismus schlichtweg leugneten oder als Schwindel und Einbildung abtaten. Auch Jung verschrieb sich wie William James einem radikalen Empirismus, der keine apriorischen Annahmen darüber macht, was Tatsachen sind und was nicht. Daher interpretierte er auch seine ungewöhnlichsten Visionen empirisch, nicht als Kontaktaufnahme zu übernatürlichen Wesen, sondern als Beweis für die Tatsache, dass die Natur eine Nachtseite besitzt, die er als »das Unbewusste« bezeichnete. Diese Nachtseite sei, so Jung, von der Aufklärung als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu Unrecht verworfen worden.
Was bedeutete all dies für den Umgang von Eranos mit der Religion und für die Erforschung der Esoterik? Jung war überzeugt, die Psychologie werde zur Grundlage aller anderen Wissenschaften werden, auch zur Grundlage der Geschichtswissenschaft. Auch in dieser Beziehung gibt es eine bemerkenswerte Parallele zu Ennemoser. Dieser war überzeugt, der Mesmerismus sei die neue revolutionäre Wissenschaft, Jung wies der Psychologie diese Stellung zu. Die Nachtseite Mesmers wurde bei Jung zum Unbewussten. Beide untersuchten die Tatsachen des Bewusstseins bei gegenwärtigen Patienten und in der Geschichte, indem sie die Berichte der Vergangenheit nach Beweisen für vergleichbare Phänomene und Erfahrungen durchforsteten. Das Ergebnis war dasselbe: Alles, was von der Aufklärung auf den Kehrichthaufen der Geschichte geworfen worden war, rückte wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber beide plädierten dafür, dieses Gebiet neu zu verstehen: als Äußerungen der Seele und ihrer geheimnisvollen Kräfte. Und als solchen sollte ihnen eine zentrale Bedeutung für das Verständnis der Kultur und Zivilisation zukommen, da diese Erzeugnisse waren.
Aber Hanegraaf sieht zwei Unterschiede zwischen Ennemoser und Jung. Ennemoser dachte in den Kategorien der christlichen Heilsgeschichte, für ihn gipfelte die Entwicklung der Menschheit im Erscheinen Christi und der »absoluten Religion«. Für Jung dagegen gab es eine verborgene Spannung zwischen den tieferen, heidnischen Schichten des Unbewussten und den höheren, die sich durch das »Judäochristentum« auf ihm abgelagert hatten. Die Probleme der Moderne konnten daher auch als unbewusste Auseinandersetzung zwischen dem christlichen Bewusstsein und dem heidnischen Unterbewusstsein interpretiert werden. Diese Verknüpfung des Unbewussten mit dem Heidentum und des Bewusstseins mit dem Christentum war neu. Dadurch kehrte das alte Motiv der Apologeten und Antiapologeten wieder in die Diskussion zurück.
Und der zweite Unterschied bestand darin, dass Jung die Lücke des »dunklen Mittelalters« in Ennemosers Geschichtsbild mit der Alchemie ausfüllte. Sie stellte für ihn die historische Verbindung zwischen der Gnosis und dem Neuplatonismus der Antike und der modernen Psychologie dar. Die Gnosis erschien ihm als Suche nach der Individuation, als Suche nach dem wahren Selbst, nach der »inneren Sonne«. Das Bild der inneren Sonne hat weniger mit der Gnosis zu tun, in der es nicht vorkommt, als mit der romantischen Vorstellung der Herzgrube und dem Herzen in Swedenborgs spiritueller Anthropologie. Die Gnosis repräsentierte für Jung die Nachtseite des Denkens, die sich den Rätseln des Daseins intuitiv und mit der Sprache der Bilder näherte, im Gegensatz zum Rationalismus, der sich der diskursiven Sprache bediente.
Daher konnte die Gnosis als das Unbewusste der christlichen Orthodoxie erscheinen, ihre reiche Mythologie und Symbolik war für Jung Ausdruck der unterdrückten Nachtseite der Religion. Und im Mittelalter hatte die Alchemie die Rolle der Gnosis übernommen.
Aus Hanegraaffs Sicht besteht das Grundproblem der Jungschen Weltdeutung nicht darin, dass er die gnostische oder alchymische Symbolik als Ausdruck unbewusster Prozesse auffasste, sondern darin, dass er sie und mit ihm viele, die ihm folgten, als Methode der Geschichtserkenntnis missverstand. Die Psychologie suche nach allgemeinen Gesetzen des seelischen Lebens und wenn sie behaupte, diese Gesetze auf die kollektive Psyche und ihre geschichtliche Entwicklung anwenden zu können, dann reduziere sie die einzigartigen geschichtlichen Ereignisse auf ebendiese Gesetze. Im Gegensatz dazu gehe es in der Geschichte aber gerade nicht um solche allgemeinen Gesetze, sondern um das, was aus den Quellen über singuläre Ereignisse empirisch eruierbar sei. Geschichte befasse sich mit Singularitäten, Psychologie, wenn sie nach allgemeinen Gesetzen strebe, mit Universalien. Daher ist Jungs Psychologie in den Augen Hanegraaffs geradezu eine »Antithese zur historischen Methode«. Zwar glaubte er im allgemeinen an eine Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, aber er interessierte sich nicht für die Erforschung konkreter geschichtlicher Ereignisse. Vielmehr fahndete er nach den psychischen Strukturen und Vorgängen, die all diesen Ereignissen zugrunde lagen. Hanegraaff, der sich als Historiker versteht, sieht darin eine Verdammung seiner Profession zu Sklavendiensten für den Psychologen, der die geschichtlichen Daten, die der Historiker sammle, lediglich dazu benutze, seine allgemeinen Theorien zu illustrieren. Dass die Geschichtswissenschaft fundamentaler als die Psychologie sein könnte, weil sie zu zeigen vermag, wie sich bestimmte Psychologen durch bestimmte kontingente historische Umstände und ihre individuelle Reformulierung der Geschichte gegenüber anderen durchsetzten, liegt laut Hanegraaff außerhalb der Denkmöglichkeiten der Jungschen Psychologie.
Die Inkompatibiltät der Jungschen Psychologie mit den Prinzipien der Geschichtsforschung ist laut Hanegraaff heute unbestritten. Dennoch haben nach dem II. Weltkrieg nicht wenige Historiker der Alchemie seine Deutungen übernommen. Jung schien nicht nur den Schlüssel für die Interpretation eines Forschungsgebietes gefunden zu haben, das von der herrschenden Geschichtswissenschaft verachtet wurde, er schien auch seine Bedeutung für den modernen Menschen erschlossen zu haben.
Die Jungsche Interpretation eröffnete nicht nur der Alchemieforschung neue Perspektiven, sondern auch der Esoterikforschung. Dabei spielte seine Theorie der Synchronizität eine zentrale Rolle. Sie bot eine Alternative zum Denken in Kausalitäten und stellte die grundlegenden Annahmen der cartesischen und newtonschen Weltsicht in Frage, indem sie diese durch eine psychologische Reinterpretation von Analogien und Korrespondenzen ersetzte. Damit machte sie den »magischen Aberglauben«, den die Aufklärung verworfen hatte, wieder salonfähig. Die Jungsche Psychologie stellte einen Generalangriff auf die Grundlagen des Positivismus des 19. Jahrhunderts dar. Die Theorie der Synchronizität liest sich wie eine Rehabilition der »magia naturalis« der Renaissance, die mit Hilfe der modernen Psychologie neu gedeutet und mit der Quantentheorie versöhnt wird. Die modernste Form der Physik und die Tiefenpsychologie taten sich zusammen, um den Positivismus als Aberglauben zu entlarven und die Wiederkehr der Magie als Wissenschaft zu verkündigen.
Aus der Sicht Hanegraaffs besteht die Bedeutung Jungs darin, dass er die romantische Idee einer Geschichte der magischen Nachtseite der Natur und ihrer experimentell erforschbaren Erscheinungsformen aufgriff, um diese in Begriffen der modernen Psychologie als Geschichte des von der westlichen Kultur unterdrückten Unbewussten zu reformulieren. Daraus resultierte eine höchste attraktive Erzählung mit einer eigenständigen Logik. Es ist die Erzählung einer esoterischen Gegentradition, die immer als der verborgene Schatten der herrschenden Kultur gegenwärtig war, von der Gnosis und den antiken Mysterienkulten, über die Alchemie und andere okkulte Wissenschaften bis zu Paracelsus, der romantischen Naturphilosophie und der modernen (Jungschen) Psychologie. Die Vertreter der offiziellen Lehre hatten immer versucht, diese Gegentradition zu unterdrücken, waren letztlich aber nie erfolgreich, weil diese Gegentradition, ebenso wie das Unbewusste, das versteckte Geheimnis ihrer eigenen Existenz und zugleich die Quelle war, aus der sich ihr Leben spies. Die positiven Religionen waren ein Produkt ihrer Zeit und der historischen Umstände, aber in ihrem Untergrund gab es immer ein Substrat, eine Art objektives Heidentum, das in Symbolen und Mythen zum Ausdruck kam und in der ewigen Suche des Menschen nach Selbsterkenntnis, nach Gnosis wurzelte.’
‘Eranos und der Religionismus: Scholem, Corbin, EliadeHierna wordt de aandacht op andere stromingen gericht, in het 25e vervolgdeel, ‘Wissenschaft und Esoterik XXV – Von Peuckert bis Yates, Posted on 15. August 2012’:
Die Bedeutung der Eranoskonferenzen liegt laut Hanegraaff in einem spezifischen Zugang zur Religion, der von vielen Wissenschaftlern gesucht wurde, die sich seit den 1960er Jahren mit hermetischen und okkulten Traditionen zu beschäftigen begannen. Diesen spezifischen Zugang hält Hanegraaff für »religionistisch«. Er beinhaltet das aus seiner Sicht »unmögliche« Projekt einer »Geschichte der Wahrheit«, den Versuch, aus historischen Quellen eine ewige universelle Wahrheit zu destillieren. (Die Gegenposition, dass jede historische Quelle einen Aspekt der universellen Wahrheit enthält, ließe sich gegen Hanegraaff durchaus mit vernünftigen Argumenten vertreten). Die Hauptfiguren von Eranos bäumten sich laut Hanegraaff gegen die Endlichkeit von Zeit und Geschichte, gegen den Wandel und die Veränderung auf, sie lehnten die nihilistische Behauptung ab, alles sei vergänglich und sinnlos und ende in Auflösung und Tod.
Aber es gab im Eranoskreis unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit. Auf der Seite der Zeit stand Gershom Scholem, der die kritische Philologie und Geschichtsforschung verteidigte, und nur selten Einblick in seine tieferen Motive gewährte. In einem Brief an seinen Verleger schrieb er einmal, die Geschichte möge am Ende eine Illusion sein, aber ohne diese Illusion werde der Mensch unter den Bedingungen der Zeitlichkeit nie zu einem Einblick in die übergeschichtliche Wirklichkeit gelangen. Der »sonderbare, konkave Spiegel der philologischen Kritik« erlaube es dem heutigen Menschen, einen Zipfel jener »mystischen Totalität« zu erfassen, die in dem Moment ungreifbar werde, in dem sie in der Zeit erscheine. Immer habe er in der Hoffnung gelebt, dass der »Vorhang der Geschichte« für einen Moment aufgehen und aus der Illusion von Entwicklung die Wahrheit hervorleuchten möge.
Wie alle anderen führenden Figuren von Eranos war auch Scholem überzeugt, dass die metaphysische Wahrheit nicht in der äußeren Geschichte zu finden sei, dass der Historiker, solange er Historiker bleibe, sie nicht zu finden vermöge. Aber während Corbin oder Eliade mit ihrem christlichen Hintergrund die Geschichte als Gefängnis oder Albtraum betrachteten und den Historismus als ihren Erzfeind, war Scholem als Zionist von der Notwendigkeit einer geschichtlichen Existenz überzeugt. Denn in der Geschichte lebt für den Juden die messianische Hoffnung, sie ist die Voraussetzung, die das Erscheinen des Messias vorbereitet. Aber gleichzeitig macht die Einsicht, dass das Ewige nicht in der Zeit erscheinen kann, die messianische Hoffnung zu einer Erwartung des Unmöglichen. Unter diesen Umständen muss der Historiker es wagen, in den Abgrund der Geschichte hinabzusteigen, mit nichts als der verzweifelten Hoffnung, dass wider alles Erwarten das Transzendente dennoch eines Tages in die Geschichte einbrechen könnte. In der Zwischenzeit sind die Juden in die Geschichte verbannt, geleitet allein von Mythen und Symbolen, die einen flüchtigen Blick auf das Ewige erlauben, das sie enthüllen und – indem sie es enthüllen – sogleich wieder verbergen. Scholem kann man nach all dem als Historiker betrachten, der die Versuchung des Religionismus empfand, aber ihr nicht unterlag.
Auf der anderen Seite des Spektrums stand, als erklärter Anti-Historiker, Henri Corbin (zu Corbin siehe auch: »Geistleib und Himmlische Erde«). Zwar verachtete er das Quellenstudium nicht, sondern verbrachte einen Großteil seines Lebens mit diesem zu, aber er übernahm die Sichtweise seiner Quellen (iranischer und islamischer Mystiker und Theosophen) und stellte sie radikal der »Krankheit«, »Profanierung«, »Korruption«, ja »satanischen Verkehrung« des historischen Reduktionismus gegenüber. Er nahm nicht die Haltung eines Historikers, sondern eines Phänomenologen in der Tradition Husserls und Heideggers ein. Sichtbare Phänomene können laut Corbin nie die Ursache anderer Phänomene sein. Das, was sie hervorruft, ist unsichtbar. Was immer in der empirischen Welt erscheint, hat seine Ursachen in einer überempirischen Welt. Jede Geschichte, die in der sichtbaren Welt stattfindet, ist daher nach Corbin die Imitation von Ereignissen, die zuerst im Himmel, in der Seele stattfinden, daher kann der Ort der heiligen Geschichte auch nicht auf Erden gefunden werden. Wenn Corbin von Esoterik sprach, dann meinte er diese spirituelle Sicht auf die Welt. Daher ist es laut Hanegraaff müßig, Corbins Werk aus Sicht einer kritischen Geschichtsforschung zu beurteilen. Er war an »historischer Wahrheit« schlicht nicht interessiert – was immer dieser Begriff auch bedeuten mag. Dass er sich für historische Äußerlichkeiten nicht interessierte, geht deutlich aus seinem Text »Das Bild des Tempels im Konflikt mit profanen Normen« hervor, den er kurz vor seinem Tod bei einem Eranostreffen vortrug. Hier sprach er über die Beziehung zwischen der christlichen Urgemeinde und den Essäern, den Templern und der Gralslegende, dem Illuminismus der Templermaurerei und Swedenborgs »Neuem Jerusalem«. Um diese Beziehung verstehen zu können, müsse man sich jenseits des Werdens und der historischen Kausalität positionieren, jenseits der Normen der Chronologie, der archivalisch belegbaren Abhängigkeiten und Dokumente. Das Bild (die »imago«) des Tempels existiere auf einer anderen Ebene der Realität, in einer »imaginalen« Welt (nicht zu verwechseln mit imaginär), die ihren irdischen Manifestationen dem Wesen nach vorausgehe. Und deswegen ist es dieses imaginative Bild, dieses Urbild, das seine historischen Erscheinungsformen hervorbringt und nicht umgekehrt. »Historische Kausalität« (was auch immer darunter zu verstehen ist) ist also per definitionem irrelevant. Daher erkläre Corbin die von ihm hergestellten »historischen« Beziehungen auch »ex cathedra«, wie Hanegraaff formuliert, als immun gegen jegliche historische Falsifikation. Mit demselben Argument erledige sich auch jeder Versuch, die Abhängigkeit Corbins von zeitgenössischen Esoterikern aufzuzeigen. Durch Corbin sprach, nach seiner eigenen Auffassung, die überhistorische Wahrheit und jeder Einwand gegen sie war daher gegenstandslos.
Corbin begriff nach Auffassung Hanegraaffs vermutlich den tiefen Gegensatz zwischen »Geschichte« und »Wahrheit« mehr als jeder andere seiner Mitstreiter. Dieser Konflikt betrifft den Kern jedes Studiums der Religion und der westlichen Esoterik. Hanegraaff legt deshalb größten Wert darauf, diesen Widerspruch verständlich zu machen. Zwei Formen des Denkens stehen sich gegenüber, die in sich konsistent sind, aber sich gegenseitig ausschließen. Beide können von ihren jeweiligen Voraussetzungen her die andere als Irrtum erweisen. Aber weil sie keinerlei gemeinsamen Maßstab besitzen, ist es unmöglich, zu entscheiden, welche von beiden wahr oder falsch ist. Am Ende bleibt nur die Wahl zwischen der einen oder der anderen.
Scholem entschied sich für die Geschichtsforschung und akzeptierte, dass die Wahrheit zu einem Schimmer der Hoffnung am Rande des menschlichen Erfahrungshorizonts verblasste. Corbin wählte den beschwerlichen Pfad der Metaphysik und wurde zu einem »Fremdling im Okzident«, indem er die Partei einer geistigen Welt ergriff, die für nahezu alle Zeitgenossen unbegreiflich geworden war. Corbin war nicht weniger dogmatisch als die Hautvertreter des Traditionalismus, René Guénon oder Frithjof Schuon, zu denen er eine komplexe Beziehung unterhielt. Er verwarf ebenso wie diese die moderne Welt mit ihren Grundlagen und beanspruchte für seine eigene Weltsicht, sie sei die einzig wahre.
Scholem opferte die »Wahrheit« im Interesse der Geschichte, Corbin opferte die Geschichte im Interesse der »Wahrheit«.
Die dritte große Gestalt im Kreis von Eranos, Mircea Eliade repräsentiert nach Hanegraaf dagegen das ungelöste Paradox des Religionismus als solchen: was er als Geschichte der Religion bezeichnete, war in Wahrheit ein Versuch, die Geschichte hinter sich zu lassen. Eliade spezialisierte sich nicht auf ein bestimmtes Forschungsgebiet, wie Scholem oder Corbin. Er war Generalist und bezog seine Kenntnisse aus sekundären Quellen. Er war auch in seinem Herzen kein Gelehrter, sondern ein Poet. Deshalb interessierte er sich auch wenig für Methodenfragen und es ist aus Hanegraaffs Sicht mehr als ironisch, dass ausgerechnet sein Werk zum Gegenstand intensiver methodologischer Debatten auf dem Feld der Religionswissenschaften wurde.
Aber was Eliade verständlich macht, ist gerade dieser Mangel an Methodenreflexion. Was ihn antrieb, war nicht die Überzeugung, die richtige Methode der Erkenntnis gefunden zu haben, sondern das tiefe Bedürfnis, der menschlichen Existenz in der Geschichte einen Sinn abzugewinnen. In seiner obsessiven Aktivität als Schriftsteller spiegelt sich laut Hanegraaff sein Bewusstsein der Vergänglichkeit und des Todes. Vorübergehende Befreiung von diesem Bewusstsein boten lediglich besondere Momente der Gnade. Eliade war zeit seines Lebens auf der Suche nach solchen Momenten, die er in der verlorenen Kindheit, den Zeiten der Vergangenheit, der kosmischen Religion oder dem Paradies suchte. Der Begriff des »illud tempus«, der primordialen Zeit, der für sein Werk zentral ist, die Vorstellung einer Zeit, die von den Mythen beschworen wird, ist im Grunde der paradiesische Zustand des Bewusstseins, der die Kindheit auszeichnet. Wenn Eliade vom »Terror der Geschichte« sprach, meinte er damit nicht eine bestimmte Form des Historismus, sondern die schmerzliche Erfahrung, dass im Alltag des Erwachsenen die Dinge einfach passieren, ohne eine tiefere Bedeutung zu haben. Sein nach dem II. Weltkrieg verfasster »Mythos der ewigen Wiederkehr« ist eine zutiefst persönliche Antwort auf den Terror und die Grausamkeit der Geschichte. Er betont darin, dass der Mensch sich gegen die nihilistische Auffassung zur Wehr setzen müsse, alle was geschehe, sei gut, nur weil es eben geschehe.
Eliade behauptete aber nie, geschichtliche Ereignisse hätten eine Bedeutung und im Gegensatz zu Corbin oder Scholem entwickelte er nie eine präzisere Idee der metahistorischen Wirklichkeit. Seine fortlaufenden Bezugnahmen auf das »Heilige« bleiben merkwürdig unbestimmt. Im Grunde postulierte er nur, dass etwas Absolutes existieren müsse, weil die Alternative der Nihilismus und die Verzweiflung wäre. So gesehen, erscheint sein Werk als lebenslanger Versuch, sich ebendieser Verzweiflung zu erwehren. In Mythen und Ritualen der zyklischen Wiedergeburt sah er ein Gegenmittel zur Endlichkeit der Ereignisse in einer endlos fortlaufenden Zeit, in der Vorstellung einer nicht weiter erklärbaren Realität des Religiösen ein Gegenmittel zum historischen Reduktionismus, in ekstatischen Techniken und dem imaginativen Wiedereintritt in die archaische und primordiale Welt eine Befreiung aus dem Gefängnis der Zeit. Aber in all dem suchte er nicht nur für sich persönlich eine Erlösung von der Last der Vergänglichkeit, sondern sah darin auch eine notwendige Therapie für die gesamte Moderne.
Bei seiner Suche nach einem Ausweg aus der historischen Welt tauchte Eliade in eine Fülle esoterischer Strömungen unter. Okkultisten spielten in seiner Jugend eine Rolle bei der Erweckung seines Interesses an vergleichender Religionswissenschaft, Alchemie faszinierte ihn ebenfalls, in Italien beschäftigte ihn die Renaissance und eine Vielzahl weiterer zeitgenössischer esoterischer Strömungen findet Erwähnung in seinen Werken. Nach dem II. Weltkrieg verkehrte er in Paris mit Alchemisten, Gurdijeff-Anhängern und Neognostikern. Aber weitaus bedeutender war der Einfluss, den die Traditionalisten Guénon, Coomaraswamy und Evola auf ihn ausübten. Er suchte zwar diesen Einfluss zu verschleiern, aber nicht wenige seiner Ideen stammen aus dem Traditionalismus: das Symbol des »Zentrums«, der Begriff der »Reintegration«, sein Verständnis der »Archetypen«, in dem er sich nicht Jung anschloss, sondern Coomaraswamy.
Die zwei wichtigsten Kapitel des »Mythos der Reintegration« haben sich als nahezu wörtliche Zitate eines Textes von Coomaraswamy erwiesen. Dennoch wurde Eliade nie zu einem überzeugten Traditionalisten. Er glaubte weder an eine »primordiale Tradition«, noch an eine initiatische Überlieferungskette des traditionellen Wissens oder einen zyklischen Niedergang, und vor allem sah er in traditionalistischen Glaubenssätzen keine metaphysischen Wahrheiten, sondern Ausdrucksformen eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses, des Bedürfnisses nach Einheit und Wiedereingliederung in das Leben des Kosmos.
Eliade entfaltete besonders in den 1960er Jahren eine enorme Wirkung, was dafür spricht, dass seine Therapeutika von vielen Menschen als heilsam empfunden wurden. Seine Interpretationen von Religion sollten über die sogenannte Chicagoer Schule zur dominierenden Sichtweise in den Religionswissenschaften werden. Seine Popularität fiel mit einem Aufschwung Jungs und weiterer Eranos-Autoren in den USA zusammen. Während in Europa all die Themen, die diese Autoren behandelten, der politischen Tabuisierung zum Opfer fielen, erlebten sie in den USA zur gleichen Zeit einen grandiosen Aufschwung. Hier blühte der Geist von Eranos, zusätzlich gefördert von Autoren wie Joseph Campbell und dem Psychologen James Hillman.
Aber bis in die 1970er Jahre spielten die Strömungen der westlichen Esoterik in den Gesprächen von Eranos keine besondere Rolle. Das änderte sich erst mit dem Auftreten von Antoine Faivre. Scholem hatte sich mit der »Esoterik« des Judentums und Corbin mit jener des Islam beschäftigt, aber niemand hatte sich um die Esoterik des Christentums gekümmert. Dies sollte Faivre tun.
Was verstanden Scholem und Corbin unter Esoterik?
Scholem sah einen scharfen Gegensatz zwischen der kabbalistischen Denkform, die von einem mythischen Universum erfüllt war und dem geschichtsgesättigten Bewusstsein des Rabbinertums. Er vertrat die Ansicht, dieses mythische Universum sei aus dem Heidentum über die Gnosis in das Judentum eingedrungen. Er betrachtete die jüdische Esoterik als Einbruch des nicht-jüdischen mythischen Bewusstseins in das essentiell historische Bewusstsein des Judentums. Aber genau in diesem Synkretismus erblickte er das lebendige Herz, das es dem Judentum ermöglicht hatte, bis in die Gegenwart zu überleben. Die Essenz der jüdischen Esoterik war also nicht spezifisch jüdisch, sondern universell.
Corbin dagegen betrachtete die Esoterik schlicht als die verborgene Wahrheit des Islam, die allein Mystikern und Visionären zugänglich war, nicht aber dem Historiker. Beide Denker vertraten also die Ansicht, die lebendige Essenz, das eigentliche Wesen der monotheistischen Religionen, sei nicht in ihren äußeren, historischen, doktrinären Erscheinungsformen zu finden, sondern durch eine universelle Erfahrung, die von Mythen, Symbolen und religiöser Imagination bestimmt war und letztlich auf eine höhere Erkenntnis göttlicher Mysterien, auf Gnosis abzielte. Diese innere esoterische Dimension betrachteten sie als das wahre Geheimnis der exoterischen Religion. Genau diese Auffassung sollte auch Antoine Faivres Verständnis von Esoterik in der christlichen Kultur des Abendlandes bis in die 1990er Jahre bestimmen.
Corbin und Scholem wollten nicht nur die Lücken der herkömmlichen Geschichtsschreibung füllen, wenn sie sich mit vernachlässigten Strömungen des Islam und des Judentums beschäftigten. Sie wollten auch eine Antwort auf die Frage geben, was im Islam oder Judentum von bleibendem Wert und welche Wahrheit in ihnen enthalten sei. Aus Hanegraaffs Sicht verbarg sich also hinter der historischen Forschung noch ein anderes Projekt normativer Natur, das Mythos und Mystik weit höher schätzte, als Gesetz und Lehre. Aber solche normativen Urteile – so Hanegraaff – mögen sich für Philosophen oder Theologen ziemen, einem Historiker stehen sie nicht zu. Denn die historischen Quellen enthalten keine direkten Aufschlüsse über Wahrheit oder Werte, sie zeigen nur eine Fülle unterschiedlicher, widersprüchlicher menschlicher Meinungen über sie. Dem Historiker steht es nicht zu, sich zum Richter über diese Ansprüche aufzuschwingen und die eine oder andere Partei zu bevorzugen. Er muss sich eines »methodischen Agnostizismus« befleißigen, der allein die Unparteilichkeit gewährleistet. Sobald er die eine oder andere Auffassung als wertvoller betrachtet, endet die wissenschaftliche Geschichtsforschung und die eklektische beginnt.
Selbst Scholem entging aus Hanegraaffs Sicht nicht ganz dieser Versuchung. Noch mehr werden in den Schriften Corbins die »esoterischen« Dimensionen der Religion auf Kosten der exoterischen doktrinären aus einer Randposition in deren Mitte geschoben, ungeachtet der Tatsache, dass die letzteren den Glauben und die Lebensformen der meisten Muslime bestimmt haben. Nach Hanegraaffs Auffassung kann man die esoterischen Dimensionen einer Religion aber nur dann zu ihrem wahren Kern erklären, wenn man die Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinung zugrunde legt, nach der die große Mehrheit der Gläubigen das wahre Wesen ihrer Religion nicht kannte, sondern nur einige wenige Mystiker – und die Wissenschaftler, die sie studieren. Ein solcher Essentialismus ist, so Hanegraaf, »Glaube« und nicht »Wissenschaft«. (Nebenbei bemerkt beruht Hanegraaffs Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Wissenschaft auf einem ebensolchen Essentialismus – das Wesen wahrer Wissenschaft besteht demnach darin, den Essentialismus auszuschließen, was den Anspruch auf Pluralität und Neutralität eliminiert; so gesehen ist dem Essentialismus nicht zu entkommen, auch wenn man behauptet, ihm abgeschworen zu haben.)
Wie dem auch sei, nach Hanegraaffs Ansicht führt der Essentialismus in der Esoterikforschung zu einem kryptophilosophischen oder kryptotheologischen Verfahren, das sich fähig glaubt, über die Geschichte hinauszugehen und ein »höheres Wissen« zu erlangen, das Einsichten in die wirklichen Geschehnisse vermittelt. Vieles von dem, was seit den 1960er Jahren als Esoterikforschung ausgegeben wurde, steht – so könnte man Hanegraaffs Argument auch formulieren –, unter diesem »Essentialismusverdacht«. Die betreffenden Publikationen wären dann nicht Wissenschaft, sondern »Religionismus«. Als klassisches Beispiel eines solchen Religionismus betrachtet Hanegraaff in der Tat Eranos.
Wenn Eranos die dominierende Erscheinungsform des Religionismus im 20. Jahrhundert war, dann war die »kritische Theorie« der Frankfurter Schule die Haupterscheinungsform des Aufklärungsparadigmas. Die kritische Theorie hat die Art, wie die deutschen Intellektuellen nach dem II. Weltkrieg die Esoterik betrachteten, tiefgehend beeinflusst. Die Geschichte dieses Einflusses ist noch weitgehend unerforscht. Jedenfalls ist klar, dass die Grundpositionen der kritischen Theorie zur Magie und dem Okkulten keinerlei Originalität beanspruchen können, sondern direkt aus jener Kategorie des »Kehrichthaufens« entstammen, den die Aufklärung geschaffen hat. Die einzige Innovation der Frankfurter Schule bestand darin, dass sie einen engen Zusammenhang zwischen dem sogenannten Irrationalismus und dem Faschismus herstellte. Mythos, Symbol, Mystik, Gnosis und Esoterik bargen per definitionem gefährliche politische und moralische Implikationen.
Georg Lukács entwickelte dieses Argument in seinem Werk »Die Zerstörung der Vernunft« paradigmatisch. Für ihn gab es einen zwingenden Zusammenhang zwischen Vernunft und historischem Fortschritt. Aus dieser Sicht konnte es keine Geschichte der Esoterik geben, denn der Irrationalismus existiert nicht unabhängig von dem, was er verneint, er muss immer eine Form der Reaktion sein und ist untrennbar von reaktionärer Politik. Durch Horkheimer und Adorno wurde diese Denkfigur nach dem II. Weltkrieg unter linksgerichteten Intellektuellen dominant. Jedes Studium von esoterischen oder okkulten Themen unterlag praktisch einem Tabu oder konnte nur im Namen der Ideologiekritik betrieben werden. Selbst der Versuch, diese Gegenstände aus rein historischem Interesse zu untersuchen, unterlag dem Ideologieverdacht und wurde als Ausdruck von Sympathien für den ewigen Feind der Vernunft und des Fortschritts interpretiert.
Auch wenn das religionistische und das aufklärerische Paradigma vordergründig als größte denkbare Gegensätze erscheinen, haben sie nach Hanegraaffs Auffassung mehr gemeinsam als es scheint. Schon im 17. Jahrhundert, als sie das erste Mal in Erscheinung traten, beruhten sie auf ideologischen Axiomen, nicht auf Empirie. Daher weisen sie auch schwerwiegende Defizite auf und eignen sich nicht als methodologische Grundlage für die historische Forschung.
Das antiapologetische Gegenmodell zu beiden hätte sich zu einem Modell des akademischen Studiums der Esoterik entwickeln können, aber sein Potential kam nie zur Entfaltung, weil das gesamte Forschungsgebiet nach Brucker aus der Philosophiegeschichte ausgegliedert wurde und das Aufklärungsparadigma die Herrschaft übernahm. Die Folge war ein Niedergang der historischen Gelehrsamkeit auf diesem Gebiet und das wüste Land am Ende des 19. Jahrhunderts.
Eranos war der erste Versuch im 20. Jahrhundert, diesen Zustand zu ändern, entwickelte sich aber zur Vorhut einer neuen Form des Religionismus, der sich mit Geschichte befasste, um sich von ihr befreien zu können. Die kritische Theorie verlängerte die unhistorische Ideologie des Aufklärungsparadigmas und erstickte die historische Forschung im Keim, indem sie diese Forschung politisch verdächtigte. Zwei Jahrhunderte lag die historische Erforschung der esoterischen Traditionen des Abendlandes deshalb brach. Die Situation änderte sich erst, als die antiapologetische Tradition unter der Fahne der hermetischen Tradition in den 1960er Jahren durch Frances A. Yates in die Akademie zurückkehrte.’
‘Die Rückkehr der Historiker: Von Peuckert und Thorndike zu Frances YatesIn deel 26 komen andere bekende onderzoekers aan bod, ‘Wissenschaft und Esoterik XXVI – Antoine Faivre, Henry Corbin und die Esoterikforschung, Posted on 18. August 2012’:
Ungeachtet des Niedergangs der esoterischen Diskurse am Ende des 19. Jahrhunderts gab es immer auch Historiker, die in aller Stille ihrem Kerngeschäft nachgingen und Quellen studierten. Während »das Esoterische« in einem Meer von Trivialität versank, beschäftigten sie sich mit Hermetik, Astrologie und Alchemie. Die von Reitzenstein, Bousset und anderen begonnene Arbeit gipfelte in der Publikation von Festugières »La révélation d’ Hermes Trismégiste« Mitte des 20. Jahrhunderts. Daneben befassten sich Historiker am Warburg-Institut mit den esoterischen Traditionen in der Zeit nach der Antike. Diese Arbeit führte schließlich zu den bahnbrechenden Veröffentlichungen von Frances A. Yates. Unabhängig davon leistete ein einzelner, zu Unrecht vergessener deutscher Autor beträchtliche Arbeit: Will-Erich Peuckert. Er war nach Hanegraaff der erste, der den von Colberg und Brucker entwickelten Forschungszugang wieder aufgriff, und versuchte, die vergessene Welt des »hermetisch-platonischen Christentums« aus den Quellen zu rekonstruieren.
In den Autoren der Renaissance sah er die Begründer einer neuen Tradition der »Magie«, und verfolgte diese Tradition im Paracelsismus, der christlichen Theosophie und der Naturphilosophie weiter. Er verfasste eine Reihe von Monografien zu Paracelsus, Sebastian Franck, Jacob Böhme und den Rosenkreuzern, darunter die Bücher »Pansophie«, »Gabalia« und »Das Rosenkreutz«.
Der Konflikt zwischen »heidnischer« Philosophie und biblischem Christentum spielte für Peuckert jedoch keine Rolle. Er interpretierte das Aufkommen der neuen magischen Tradition, insbesondere ihre Fortentwicklung im deutschen Sprachraum, als Folge eines Konfliktes zwischen bäuerlicher Kultur und bürgerlicher Welt. Wie die Romantiker dachte er in Kategorien organischer und teleologischer Kulturentwicklung, historische Epochen betrachtete er wie Lebewesen, die danach streben, ihre inneren Anlagen zur Entfaltung zu bringen. Die magische Weltsicht sah er in der bäuerlichen Lebenswelt des Mittelalters verwurzelt, aber anstatt dass diese bei der Heraufkunft der neuen bürgerlichen Welt verschwand, begann sie zu Beginn der Moderne erst richtig aufzublühen.
Für die dabei entstehende spirituelle Weltsicht prägte er den Namen »Pansophie«. Sie nahm seiner Auffassung nach ihren Ausgang in der Renaissance und entwickelte sich zur vollen Reife in Deutschland in der Naturphilosophie des Paracelsus und der christlichen Theosophie Jacob Böhmes und lebte bis ins 18. Jahrhundert fort. In Goethes »Faust« sah Peuckert ihren archetypischen Ausdruck. Die Pansophie war für ihn eine spezifisch deutsche Schöpfung, sie entfaltete die von Plato beschriebenen zwei Flügel der Seele, den Flügel des Denkens, das die Geheimnisse der Natur ergründet und den Flügel der mystischen Kontemplation, die sich zu einer unmittelbaren Erkenntnis des Göttlichen emporschwingt. Im deutschen Sprachraum wurden aus den beiden Flügeln zwei Lichter: das Licht der Natur und das Licht der Gnade und zwei Bücher, das Buch der Natur und das Heilige Buch, die Bibel. Wie ein roter Faden zieht sich diese Unterscheidung zweier Erkenntniswege durch Peuckerts Schriften und dient als Leitfaden zur Anordnung einer Fülle historischen Materials. Trotz der unbestritten wissenschaftlichen Qualität seiner Arbeiten wurden diese so gut wie ignoriert. Dieser Rezeptionsmangel ist nach Hanegraaff auf die Tabuisierung der esoterischen Forschungsgebiete nach dem II. Weltkrieg in Deutschland zurückzuführen. Obwohl der Volkskundler Peuckert durch das NS-Regime nicht korrumpiert worden war, das ihm bereits 1935 die Lehrerlaubnis entzogen hatte, beschäftigte er sich mit Themen, die mit dem Vorwurf des Irrationalismus belastet waren. Der Rationalismus hatte aus der Sicht der progressiven Intellektuellen die Esoterik »überwunden« und das »völkische« Denken die Volkskunde vollständig kontaminiert. Alles, was auch nur im entferntesten in diese Richtung wies, wurde einem postulierten »Urfaschismus« zugeordnet. Was zu einer genuinen Tradition wissenschaftlicher Esoterikforschung hätte werden können, war aufgrund gesellschaftlicher Ächtung eine Totgeburt.
Etwas anders, wenn auch nicht unbedingt besser erging es dem amerikanischen Historiker Lynn Thorndike, dessen Lebenswerk die achtbändige »Geschichte der Magie und der Experimentalwissenschaften« war, die von 1923 bis 1958 erschien. Dieses nahezu erschöpfende enzyklopädische Werk beruhte auf gründlicher, gewissenhafter Archivarbeit und auch wenn manches darin überholt ist, besitzt es doch einen bleibenden Wert. Aber die Reaktion auf Thorndike war symptomatisch. Schon 1924, beim Erscheinen der ersten beiden Bände, erteilte der Doyen der amerikanischen Wissenschaftsgeschichte, George Sarton, ihm in einer hochemotionalen Attacke eine vernichtende Abfuhr, die mehr über die kollektiven Vorurteile aussagte, in denen Sarton befangen war, als über die Qualität des Werkes.
Die Rezension ist laut Hanegraaff ein Paradebeispiel für die Reifizierung der begrifflichen Kategorien »Magie« und »Wissenschaft«, deren absolute Unvereinbarkeit behauptet wurde. Während Sarton in der Wissenschaft ein fortschreitendes Unternehmen der Wissensakkumulation sah, das auf Rationalität und Skepsis beruht, hielt er die Magie für vollkommen irrational und statisch. Von einer »Geschichte der Magie« zu sprechen, sei deshalb ein Widerspruch in sich. Man könne höchstens eine Geschichte des Krieges zwischen Wissenschaft und Magie schreiben, aber Thorndike tue genau das Gegenteil. Er behaupte, der Magier sei der Vorfahre des modernen Wissenschaftlers, Vernunft die Frucht der Unvernunft und Wahrheit die Frucht von Aberglauben und Okkultismus.
Und in der Tat war Thorndike Pionier einer neuen, unparteiischen Form der Geschichtsschreibung, welche die von Sarton beschworene Urdualität aufweichte und schließlich im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu ihrem Untergang führen sollte.
Die durch Thorndike angestoßene Revolution bestand in Folgendem. Er sah zwischen Magie und Wissenschaft keine antithetische, sondern eine konstruktive Beziehung, die Magie war ein der Entwicklung fähiges historisches Phänomen, das von Wissenschaftshistorikern Ernst genommen werden musste. Die Unterscheidung zwischen Magie und Experimentalwissenschaft wurde um so fragwürdiger, je genauer man hinsah. Die Folge war, dass Wissenschaftshistoriker die Magie nicht nur Ernst nehmen, sondern auch zu Historikern der Magie werden mussten. Das Mittelalter erschien nicht mehr als dunkles Zeitalter, sondern als Epoche, in der sich die Wissenschaften weiter entwickelt hatten. Je mehr das Mittelalter als Zeitalter der Experimentalwissenschaft erschien, umso deutlicher wurde auch, dass die Magie in der Neuzeit weiter existierte und dass viele »Helden« des wissenschaftlichen Fortschritts ihr zutiefst verbunden waren.
Thorndike war kein Parteigänger der modernen Wissenschaft, sondern ein an Kontext und Komplexität interessierter Historiker. Er wollte nicht die Moderne und den Fortschritt gegen das Gespenst des Irrationalismus verteidigen, sondern die Vergangenheit gewissenhaft beschreiben. Diese methodischen Grundsätze führten ihn zu einem für Historiker typischen Relativismus, der Sarton zutiefst beunruhigte.
Während Peuckert und Thorndike die Magie noch als ein Überbleibsel der Geschichte betrachteten, änderte sich dies schlagartig mit den Publikationen von Frances A. Yates ab den 1960er Jahren. Sie vertrat genau jene Ideen, die Sarton noch als Gefahr erschienen waren: dass der Magier der Vorfahr des heutigen Wissenschaftlers und die Vernunft ein Kind der Unvernunft sei. Zwar sah sie das Mittelalter immer noch als dunkle Zeit, aber statt ihm die Magie und der Renaissance die Wissenschaft zuzuordnen, sah sie in der Magie sowohl rückwärts als auch vorwärts gewandte Elemente. Ja, sie hielt die Magie sogar für den Schlüssel zum Verständnis der Renaissance. Der dunklen, schmutzigen Form der Magie des Mittelalters stellte sie die neue, lichte, vernunfterfüllte Magie der Renaissance gegenüber, welche ihrer Auffassung nach die italienischen Humanisten vertreten hatten. Die Magie war mit einem Mal eine eigenständige intellektuelle Tradition voller Innovationskraft, die möglicherweise zur modernen Wissenschaft führte. Zwar hielt sie immer noch am Gegensatz zwischen beiden fest, aber in Wahrheit untergrub ihre Forschung diese Dualität. Ihre Arbeit zerstörte die Grundbegriffe, die bisher für die historische Forschung wegleitend gewesen waren und zwang die Historiker dazu, die Standarderzählungen von der Entstehung der modernen Wissenschaft neu zu schreiben.
Yates arbeitete seit 1936 am Warburg-Institut in London, dessen Mitarbeiter Saxl, Panofsky, Cassirer, Klibansky und Wind schon länger die Geschichte der Bilder und Symbole in die allgemeine Geschichte zu integrieren versuchten. »Giordano Bruno und die Hermetische Tradition« war das erste ihrer einflussreichen Bücher (1964), durch die sie das sogenannte Yates-Paradigma etablierte. Ein Teil ihres Erfolges erklärt sich aus ihrem Stil, der Staunen und Begeisterung weckt und sie selbst als Außenseiterin erscheinen lässt, die grundlegende Annahmen der herrschenden Lehre in Frage stellt. Diese Haltung traf den Zeitgeist der 1960er Jahre, und brachte die Gefühlslage einer sich damals entwickelnden Gegenkultur zum Ausdruck.
Das Yates-Paradigma behauptete, es habe eine hermetische Tradition gegeben, und diese sei eine bisher vernachlässigte Dimension der modernen Geistes- und Kulturgeschichte. Diese Tradition sei lebendig, vielschichtig und folgte ihren eigenen Gesetzen. Sie sei eine Tradition, die von Magie, persönlicher Erfahrung und der Macht der Imagination beherrscht war, die eine verzauberte, ganzheitliche Weltsicht vertrat, die Natur als Lebewesen betrachtete, das von geistigen Energien erfüllt ist und dem Menschen eine zentrale, optimistisch gedeutete Rolle in der Welt zuwies. Sie erschien wie eine tief in der europäischen Geschichte verwurzelte Gegenkultur, die mit jener verwandt war, nach der die 68er-Generation sich sehnte.
Die Erzählung von Yates entbehrte auch nicht der Tragik: Bruno starb auf dem Scheiterhaufen, die rosenkreuzerischen Hoffnungen gingen im 30-jährigen Krieg unter, und Casaubon versetzte dem Fundament der Hermetik den Todesstoß. Aber den Lesern der 1960er- und 70er Jahre erschien es so, als habe die magische und verzauberte Weltsicht der Renaissance eine Schlacht gegen das kirchliche und wissenschaftliche Establishment verloren, aber nicht den Krieg, den diese Leser selbst fortzusetzen gewillt waren. Yates demaskierte die gängigen Erzählungen über den wissenschaftlichen Fortschritt als ideologische Konstrukte und setzte eine bessere Erzählung von der Wiederverzauberung der Welt dagegen.
Aber dieses Paradigma hielt der historischen Kritik doch nicht stand. Die von Yates beschriebene hermetische Tradition hatte – in der Form wie sie von ihr geschildert wurde – nie existiert. Hermes Trismegistos war nur einer von vielen alten Weisen das Diskurses über alte Weisheit und er war nicht einmal der wichtigste. Plethon und Ficino sprachen vielmehr von einer Tradition des Zoroaster. Und der einzige, der explizit an eine hermetische Tradition glaubte, Lodovico Lazzarelli wurde von Yates aus ihrer Geschichte hinausgeschrieben, weil er nicht zu ihr passte. Zwar ist die Rezeption der Hermetika in der Renaissance wichtig für das Verständnis der letzteren, aber diese Rezeption begründete keine hermetische Tradition. Zudem hatte Yates behauptet, die hermetische Tradition sei durch und durch magisch gewesen und habe den Menschen dazu aufgefordert, die Welt zu verändern. Das Fatale ist nur, dass das »Corpus Hermeticum« praktisch keinen Text enthält, der explizit magisch ist. Daher berief sich Yates auch nicht auf die von Ficino übersetzte Textsammlung, sondern auf den sogenannten Asklepios, der allerdings schon das ganze Mittelalter hindurch bekannt. Die damit in Verbindung stehenden magischen Motive waren für die Renaissance nicht neu und was für diese neu war, war nicht magisch. Zwar kommt der Magie für die Renaissance zweifellos eine große Bedeutung zu, aber es hat laut Hanegraaff keinen Sinn, diese Magie als »hermetisch« zu bezeichnen. Daher muss das Yates-Paradigma, die Erzählung von der hermetischen Tradition, verabschiedet werden. Sie wird der Komplexität der Quellen nicht gerecht und lässt ein falsches Bild entstehen. Besonders problematisch ist die Gegenüberstellung des finsteren Mittelalters und eines Zeitalters des Lichtes, das mit der Renaissance angebrochen sei, die Verdinglichung der Hermetik als eigenständiger Tradition, die magische Natur dieser Hermetik und ihre angebliche Deutung des Menschen als autonomer Gestalter der Welt.
Der von Yates entwickelte Begriff der Hermetik dominierte die wissenschaftliche Diskussion bis in die 1990er Jahre. Erst unter dem Einfluss von Antoine Faivre begann sich dies zu ändern.’
‘Antoine Faivre, 1934 in eine katholische Familie geboren, studierte deutsche und nordamerikanische Literatur und wurde 1961 während seines Militärdienstes in Algerien zu einem überzeugten Christen. In dieser Zeit begann er, sich in die illuministischen und theosophischen Strömungen Deutschlands im 18. Jahrhundert zu vertiefen. Seinen Doktortitel erwarb er durch Studien über Niklaus Anton Kirchberger und Karl von Eckarthausen. Einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben stellte seine Begegnung mit Eranos und der Einfluss von Henry Corbin und Gilbert Durant ab 1969 dar. Corbin betrachtete er danach lange Zeit als eine Art spirituellen Lehrer, dem er seine wesentlichen Einsichten in die »Wahrheit« der Geschichte verdanke. 1969 wurde er zum Professor an der Sorbonne ernannt und gleichzeitig in die Nationale Großloge der Freimaurer aufgenommen. Von einem Jesuiten, einem Freund seines Vaters, wurde er in den martinistischen Rektifizierten Schottischen Ritus eingeführt, ein christliches Hochgradsystem mit ritterlicher Symbolik, das Jean-Baptiste Wilermoz 1778 begründet hatte. 1973 führte er seine Freunde Corbin und Durand in dieses System ein. In diesem Jahr trat er auch das erste Mal als Redner in Eranos auf. 1974 gehörte er zu den Mitbegründern eines »spezifisch französischen und militant religionistischen« Ablegers der Eranos-Idee: der »Universität des Heiligen Johannes von Jerusalem«.Zodat we, in deel 27, aangekomen bij het slot van het boek dus ook toe zijn aan de finale aflevering, ‘Wissenschaft und Esoterik XXVII – Restitutio ad Integrum, Posted on 19. August 2012’:
Diese Universität war die Idee Henri Corbins, ein Versuch, sein Verständnis von Esoterik zu gesellschaftlichem Leben zu erwecken. Corbin sah sich als Nachfolger der christlichen Theosophen Jakob Böhme, Friedrich Oetinger und Emanuel Swedenborg. Seine Initiation in den Rektifizierten Ritus und dessen inneren Kreis, die »Wohltätigen Ritter der Heiligen Stadt«, erfüllten ihn mit Begeisterung. Er war von der neutemplerischen Symbolik des Ritus verzaubert, die auf Martines de Pasqually zurückging, und sein Verständnis dieser Richtung der Freimaurerei, der Gralsmythologie, der inneren Kirche und des heiligen Jerusalem verdankte sich der Symbolik dieses Ritus. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem von den »Wohltätigen Rittern« angestrebten Ziel, der Schau des himmlischen Jerusalem und Corbins Forschung über das »Bild des Tempels«.
Die »Universität des Heiligen Johannes« sollte ein internationales Zentrum für Studien in vergleichender Religionswissenschaft sein, das sich auf die drei Buchreligionen konzentrierte und der Wiederbelebung der »traditionellen Forschungen und Wissenschaften im Okzident« dienen sollte. Wie in der »Gegenuniversität« von Eranos fanden jährliche Treffen statt, aus denen von 1975 bis 1988 Publikationen hervorgingen. Was die Universität einzigartig machte, war die spezifische Verbindung akademischer Gelehrsamkeit, eines expliziten Bekenntnisses zu christlich-theosophischem und illuministischem Gedankengut und verwandten esoterischen Glaubenssätzen. Von Anfang an ließ Corbin keinen Zweifel an der religiösen und spirituellen Zielsetzung der Universität und ihrer Abneigung gegen die Übel der modernen Welt. Die Universität unterstand dem Schutz einer Priorei, die zum »Souveränen Orden des Heiligen Johannes von Jerusalem« gehörte, einer der vielen Neutempler-Vereinigungen, die behaupten, das Erbe der Tempelritter von Malta zu wahren. Und sie sollte die »einzigartige Souveränität des Geistes« verteidigen. Nach Corbin sollte sie die sichtbare Widerspiegelung einer inneren Kirche sein. Corbins glaubte, die Schätze der spirituellen Wissenschaften lägen immer noch in Bibliotheken vergraben, ohne Institutionen, die sie hätten heben können. Die Universität sollte die wahre Esoterik durch eine Diskussion unter Akademikern zur Erscheinung bringen. Allerdings setzte dies voraus, dass die Akademiker selbst eine geistige Wiedergeburt durchliefen, also die herkömmliche Form des wissenschaftlichen Arbeitens veränderten. Die Mitwirkenden sollten sich ganz in den Dienst des spirituellen Lebens stellen, so wie früher die Kreuzritter im Dienst des wahren Glaubens gestanden hatten. Corbin und Faivre waren stets überzeugt, ihr Glaube an die innere Kirche und ihre theosophischen und freimaurerischen Überzeugungen ließen sich mit dem Glauben der Kirche vereinbaren.
Vor 1969 unterschied sich Faivres Begriff der Esoterik nicht von den gängigen französischen Definitionen, die zwischen einer inneren (esoterischen) und einer äußeren (exoterischen) Dimension von Wissen unterschieden. Er war vor allem an einer Definition des Illuminismus interessiert und hob Motive wie die innere Kirche, den Mythos des Falls und der Wiederherstellung und die Natur als Netz von Entsprechungen hervor.
In seiner ersten Publikation über christliche Esoterik im Jahr 1972 rang er mit den Schwierigkeiten einer Definition von Esoterik. Sein Vorschlag war, jeden Denker, ob christlich oder nicht, als Esoteriker zu betrachten, der drei Ideen vertrat: das analogische Denken, eine Theosophie und die Idee einer inneren Kirche. Die Theosophie war zentral für diese Definition und unter ihr verstand er illuministische Strömungen, die im Paracelsismus, der christlichen Kabbala und Jakob Böhme wurzelten.
Ein Jahr zuvor hatte Faivre schon in der Zeitschrift »Annales« versucht, sein Programm in die Tat umzusetzen, ein Programm, das die Grenzen der bloßen Historiographie verlassen sollte, um zu einem wirklichen Verständnis von Esoterik vorzudringen. Hier zeigen sich die Einflüsse von Corbin und Eliade. Faivre interpretierte alchemistische Texte als Ausdruck einer tieferen Weltsicht und stimmte Eliade zu, der behauptet hatte, die historische Perspektive allein reiche nicht aus, um spirituelle Tatsachen zu verstehen.
In seinem Werk »Die Esoterik im 18. Jahrhundert« betonte er, das esoterische Denken sei durch eine kontradiktorische Logik gekennzeichnet. Ihm liege eine andere Art von Rationalität zugrunde, die sich des analogen Denkens in Mythen und Symbolen bediene, nicht der aristotelischen Logik, die für Philosophie und Theologie maßgeblich sei. Die Theosophen und Esoteriker würden deshalb so schlecht verstanden, weil sie sich ihrer eigenen Sprache bedienten oder der unangemessenen Sprache der Philosophen und Theologen. Er versuchte, sich von zwei Formen des Dogmatismus abzugrenzen, von der traditionalistischen Esoterik und dem rationalistischen Reduktionismus. Die Esoterik stellte er als eine Art mittleren Bereich dar, der zwischen den dualistischen Traditionen der ekstatischen Mystik und der Kirchenlehre stehe. Er erklärte, das Werk Eliades, Corbins Begriff der »imaginalen Welt« und die schöpferische Imagination stünden seinem Verständnis von Esoterik am nächsten.
Ein Jahr später, in seinem ersten Beitrag zur Universität des Heiligen Johannes, interpretierte Faivre die gesamte Entwicklung des abendländischen Geistes aus einer tiefgehenden Scheidung zwischen dem analogischen Denken und der aristotelischen Logik, die im späten Mittelalter stattgefunden hatte. Entscheidend war, dass die Logik vom ausgeschlossenen Dritten nicht nur auf die geschaffene, sondern auch auf die göttliche Welt angewandt wurde. In der Folge entwickelte sich das aristotelische Denken zu einem intoleranten Schulmeister, der jedes abweichende Verständnis der Wirklichkeit für unvollkommen erklärte und der Begriff der Esoterik entwickelte sich zu einer Kategorie der Exklusion. Die Unterdrückung des analogischen Denkens führte zu einem künstlichen Gegensatz, der nurmehr zwei Extreme zuließ: einen abstrakten Idealismus, der sich auf die göttliche Essenz bezog und ein Denken über das sichtbare Universum, das von jedem geistigen Gehalt entkleidet war, das schließlich in den Materialismus führte. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war der Sieg des (lateinischen) Averroismus über das Denken Avicennas. Diesen Gedanken hatte Faivre von Corbin übernommen. Gegen diese herrschende Strömung wehrte sich das analogische Denken in der Renaissance in Form der christlichen Kabbala und des Paracelsismus, später auch in der Naturphilosophie der Romantik.
Faivres Beitrag mündete in ein leidenschaftliches Plädoyer für die Remythologisierung der Welt und eine Neubewertung der kreativen und partizipatorischen Imagination. In diesem Vortrag und weiteren Publikationen der 1970er Jahre äußerte sich Faivre dezidiert als Christ und setzte sich wie andere Mitwirkende von Eranos und der Universität des Heiligen Johannes gegen die Entsakralisierung der Welt zur Wehr. Er verurteilte alle Formen des Reduktionismus und sprach dem Mythos einen Primat gegenüber der Geschichte, der Metaphysik gegenüber der Physik, den Korrespondenzen gegenüber der Kausalität, dem analogen Denken gegenüber der aristotelischen Logik und dem Bild gegenüber den Begriffen zu. Zu dieser Zeit verstand sich Faivre, nach Hanegraaffs Auffassung, als christlicher Theosoph, der zutiefst besorgt war über die Umwertung der Werte, die er für die Krise der modernen Welt verantwortlich machte.
Aber dieser explizite Religionismus wurde vom Eranoskreis nicht goutiert und trat in den folgenden Jahren bei Faivre in den Hintergrund. Er begann sich von Eranos als einem elitären und autoritären Zirkel zu distanzieren, aber seine religionistischen Überzeugungen gab er nicht auf. 1979 erhielt er den Lehrstuhl an der Pariser Sorbonne, der der »Geschichte der esoterischen und mystischen Strömungen im modernen und zeitgenössischen Europa« gewidmet war. Corbin stand im Hintergrund dieser einzigartigen Einrichtung. 1964 hatte er für einen vakanten Lehrstuhl die Widmung »Geschichte der christlichen Esoterik« vorgeschlagen, um ihn auf die Interessen François Secrets zuzuschneiden. Dieser erhielt zwar den Lehrstuhl, hatte selbst aber nicht die Absicht, den Zielsetzungen Corbins zu folgen. 1979 wurde der Titel des Lehrstuhls verändert, er sollte nicht länger nur dem Christentum gewidmet sein, sondern dem europäischen Geistesleben von der Renaissance bis in die Gegenwart und von »esoterischen Strömungen« in der Mehrzahl war jetzt die Rede, um nicht den Anschein des Essentialismus zu erwecken.
Illuminismus, christliche Theosophie und Naturphilosophie blieben Faivres Hauptforschungsgebiete bis 1992. Aber er bemühte sich darum, diese Gebiete in einem breiteren Rahmen zu verorten. Er sah nun die Esoterik als eine Bewegung gegen die »Entsakralisierung des Kosmos«. Entgegen der Spaltung zwischen geistiger und sinnlicher Welt, die der Aristotelismus vorgenommen hatte, betonte die Esoterik die Doppelbewegung der Inkarnation des Geistes und der Spiritualisierung des Leibes, die in einer mittleren Ebene der Wirklichkeit stattfinden sollte, die für die Imagination zugänglich war. Auch diesen Begriff einer mittleren, imaginativen Welt hatte Faivre von Corbin übernommen, setzte aber andere Akzente. Corbin gab der geistigen Dimension den Vorzug und setzte tendenziell die Realität der körperlichen Welt herab, während Faivre die Realität der Natur betonte, die für ihn in der Mitte zwischen den reinen Abstraktionen und der bloßen Materie stand. Corbin wählte Swedenborg zu seinem Vorbild, Faivre Paracelsus.
Auch das Buch »Zugang zur abendländischen Esoterik« aus dem Jahr 1986 zeugte noch von seiner religionistischen Grundeinstellung. Hier unterschied er zwischen einer Esoterik im engeren Sinn, als einer Haltung der Innerlichkeit, die nach einer erlösenden Erkenntnis suche, und einer Esoterik im weiteren Sinn, die theosophische Betrachtungen über die Mysterien des Göttlichen, den Menschen und das Universum hinzufüge und dadurch die erstere zu einer Philosophie der Natur erweitere.
Bis in die 1980er Jahre spielte »die Esoterik« im landläufigen Sinn keine Rolle in Faivres Denken. Das änderte sich erst, als er seit Anfang 1980 eine Reihe von Gastvorlesungen in Kalifornien hielt, wo er unter Studenten und Professoren, die grundsätzlich links eingestellt waren, einer völlig neuen Form von (New-Age-)Esoterik begegnete. Faivre verliebte sich, wie viele, in San Francisco und die Universität Berkeley. Durch seine Erfahrungen in Kalifornien begann die »populäre« Esoterik in seine Werke einzudringen. Dies führte auch zu einer Erweiterung seines Esoterikbegriffs. In diesen Jahren versuchte Faivre seinen Zuhörern die Welt der christlichen Esoterik und romantischen Naturphilosophie nahezubringen und stellte Hermes als »antitotalitären Gott« dar. Gegen die Herrschaft leerer Abstraktionen und der flachen Pseudophilosophie der Geschichte brachte er die Remythologisierung der Welt in Stellung, die für ihn mit Hermes verbunden war.
Aber in den späteren 1980er Jahren empfand Faivre zunehmend die Spannung zwischen seinem religionistischen Engagement und den Anforderungen der akademischen historischen Forschung. Je mehr er selbst international wirkte, um so stärker erlebte er die Befremdung, die seine persönliche Mischung aus historischer und philosophischer Gelehrsamkeit und spiritueller Mission hervorrief, besonders in Deutschland. Außerdem erlebte er auf den jährlichen Konferenzen der amerikanischen »Akademie für Religion« den dogmatischen Antimodernismus und die Intoleranz einer Gruppe von Perennialisten, Erfahrungen, durch die er die französische Laizität neu schätzen lernte.
In seinem Werk »Die Esoterik« von 1992 schlugen sich all diese Erfahrungen nieder. Es markiert das Ende seiner religionistischen Epoche und den Beginn der Esoterikforschung im akademischen Sinn. Von einem neutralen Standpunkt aus geschrieben, war dieses Buch die erste Publikation, die das gesamte Gebiet der westlichen Esoterik von der Renaissance bis zur Gegenwart abdeckte und auf einer gründlichen Quellenkenntnis beruhte. In seiner Einleitung versuchte er das Gebiet der Esoterik als Gegenstand der akademischen Forschung zu umreißen. Das hatte es bis dahin noch nie gegeben. Er diskutierte unterschiedliche Forschungsansätze und stellte seinen eigenen Zugang als einen Vorschlag dar, der offen sei für Kritik und Verbesserungen. In der Einleitung zu diesem Buch stellte er erstmals seine Definition der Esoterik als »Denkform« dar, die durch ein Ensemble von Motiven gekennzeichnet sei: Korrespondenzen, lebendige Natur, Imagination und Mediation, Transmutation sowie Konkordanz und Transmission. Diese Definition hatte natürlich ihre Vorgeschichte. Die Korrespondenzen waren für das Denken in Analogien unverzichtbar. Die Imagination stammte aus dem Werk Corbins, aber indem Faivre sie mit der lebendigen Natur verknüpfte, entfernte er sich vom Doketismus, dem Corbin zuneigte und band sie an die Inkarnation zurück, die für die Naturphilosophie der Romantik zentral war. Am neuartigsten war die Transmutation, die Wandlung, ihr Hintergrund war die Alchemie und der Paracelsismus. Sie verlieh dem ganzen »System« des esoterischen Denkens eine bemerkenswerte Dynamik. Aber auch alle früheren Elemente seiner verschiedenen Definitionen von Esoterik spielten weiterhin eine Rolle, wenn auch nicht mehr als Bestandteil einer Polemik gegen die Moderne.
Faivre hat stets betont, dass die vier ersten Motive für die Esoterik zentral und unverzichtbar sind. Dadurch blieb für ihn die Tradition einer auf die Inkarnation zentrierten christlichen Theosophie der Kern jeder Esoterik. Dies führt unweigerlich zum Schluss, dass Faivres Definition der Esoterik im Grunde im christlichen und religionistischen Begriff einer »wahren Esoterik« wurzelt und weiterhin die antidoketische, antiidealistische und antidualistische Perspektive aufrecht erhält. Dies führt zu Ausschließungen. Die doketische Esoterik Swedenborgs passt nicht in diese Definition, auch nicht der reine Idealismus des Guénonschen Traditionalismus, oder der gnostische Dualismus des »Lectorium Rosicrucianum«. Außerdem, so Hanegraaff, definiert Faivre Esoterik als eine Weltsicht des verzauberten Kosmos, die sich gegen die Säkularisierung der Welt richtet, was die Frage aufwirft, ob sie auf die säkularisierte Form der Esoterik anwendbar ist, die im 19. Jahrhundert entstand. Die Definition der Esoterik ,die Faivre vorlegte, ist begrenzt und daher für die Forschung heute nicht mehr verbindlich.
Im letzten Unterkapitel schildert Hanegraaff, wie eine neue Generation von Historikern die Esoterikforschung in den Akademien salonfähig machte, indem sie diese zunehmend mit rein historischen und empirischen Methoden zu erforschen begann. Mit empirisch ist hier nicht etwa die »spirituelle« Erfahrung gemeint, sondern das historische Quellenstudium. Inzwischen führte dieser Forschungsansatz, den Hanegraaff auch als »methodologischen Agnostizismus« bezeichnet, zur Begründung einer Reihe von Lehrstühlen. Für diesen Agnostizismus sind persönliche Überzeugungen des Historikers irrelevant. Er hat seinen Gegenstand neutral zu erforschen, ob er nun an die Existenz dessen glaubt, wovon die Esoteriker reden oder nicht. Die mögliche Existenz oder Nichtexistenz der »esoterischen« Gegenstände liegt jenseits des empirischen Horizontes des Historikers. Er kann lediglich beschreiben, analysieren, interpretieren oder gar zu erklären versuchen, aber nicht darüber urteilen, ob die Autoren, die er erforscht, recht oder unrecht hatten. Diese Haltung schließt nach Hanegraaffs Auffassung sowohl den Religionismus als auch jede Art von Reduktionismus aus. Faivre hat sich zur Freude Hanegraaffs inzwischen dem methodologischen Agnostizismus angeschlossen und seine religionistischen Überzeugungen hinter sich gelassen. Was Hanegraaff hier schildert, ist die Durchsetzung eines neuen Paradigmas der Forschung in den Verhandlungen einer Diskursgemeinschaft. Ohne Zweifel ist er der Überzeugung, das beste mögliche Paradigma habe sich durchgesetzt, da es so etwas wie eine geistige Impfung gegen alle möglichen Krankheiten des Denkens darstellt, zu denen der Religionismus ebenso gehört wie der Reduktionismus. Dass der methodologische Agnostizismus selbst eine Form des Reduktionismus sein könnte, scheint Hanegraaff nicht in den Sinn zu kommen.’
‘Das Schlusskapitel seines Buches widmet Hanegraaff einigen grundsätzlichen Erörterungen. Zu diesen gehört die etwas verwunderliche Frage: gibt es überhaupt eine Esoterik? Oder existiert diese nur als Gegenstand der »kollektiven Imagination«, der Einbildung? Gibt es den »verborgenen Kontinent« der Esoterik wirklich (wohlgemerkt: nicht den Kontinent der esoterischen Gegenstände) oder sollten wir nicht besser fragen, warum wir bis heute an seine Existenz glauben müssen? Hanegraaf erkennt in diesen Alternativen den alten Gegensatz von Nominalismus und Realismus, den er aber nicht für so absolut hält, wie oft behauptet wird.
Alle Historiker der Esoterik haben ihren Gegenstand aus ihren persönlichen Voraussetzungen heraus ideell konstruiert und in ihren Ideenbildern spiegeln sich nicht nur ihre persönlichen Eigenarten, sondern auch die der Zeiten, in denen sie gelebt haben. Keiner dieser Historiker kann laut Hanegraaff für sich beanspruchen, eine Beschreibung der Esoterik als empirischer Tatsache »draußen in der Welt« geliefert zu haben. Ihre Gedankenbilder bilden nicht etwas ab, was draußen vorhanden ist, sondern das, was sie sich gedacht haben. Aber dennoch: sie haben ihre Bilder nicht zufällig konstruiert. Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten, die den Diskurs über Esoterik insgesamt charakterisieren, und trotz der unterschiedlichen Einstellungen der Historiker beziehen sie sich alle auf eine Reihe von Strömungen, die nicht zufällig unter dem Begriff »Esoterik« zusammengefasst werden, sondern deswegen, weil sie spezifische Eigenschaften haben, die zu ihrer Natur und ihren Inhalten gehören. »Irgendetwas« gibt es »dort draußen« in der Welt – und über dieses Etwas haben die Historiker immer geredet. Worin besteht dieses »Etwas«, das die Konstruktion der Esoterik veranlasst hat?
Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit dem Heidentum durch den Diskurs über Esoterik im Abendland. Ohne diese Auseinandersetzung würde es nach Hanegraaffs heute keine »westliche Esoterik« geben. Die Weisheit der Heiden war der Kern der Erzählung von der »alten Weisheit« in der Renaissance, mit ihr setzten sich die katholischen und protestantischen Polemiker auseinander, die das Heidentum aus dem Christentum austreiben wollten, ebenso die Denker der Aufklärung, die sie der Lächerlichkeit preisgaben. Der polemische Diskurs führte zur Konstruktion eines »platonisch-hermetischen Christentums«, des ausgegrenzten »Anderen« des wahren Glaubens und des Rationalismus, und nachdem dieses »Andere« aus der Auseinandersetzung der Gebildeten vollständig ausgeschlossen war, wurde es im Verlauf der letzten zweihundert Jahre auf den »Kehrichthaufen« der Geschichte geworfen.
Dieses Heidentum wurde nach Hanegraaff von den modernen Esoterikforschern in einem erstaunlichen Maß missachtet. Zwar wurde die Bedeutung seiner einzelnen Strömungen anerkannt, aber als solches spielte es bei der Konstruktion des Forschungsfeldes keine Rolle. Der blinde Fleck ist verständlich. Denn die ersten Akademiker, die sich wieder mit diesem ausgegrenzten Wissen zu beschäftigen begannen (von Ennemoser bis Faivre), taten dies meist von einem »religionistischen« Standpunkt aus. Dieser Standpunkt neigt dazu, die Esoterik als die Erscheinungsform eines nicht weiter erklärbaren Heiligen zu betrachten, was die Untersuchung seiner Entstehung und der möglichen Einflüsse unterschiedlicher Quellen erschwert.
Die einzigen, die das Heidentum Ernst genommen haben, waren die protestantischen Anti-Apologeten Thomasius, Colberg und Brucker. Sie verbanden die Methode der kritischen Geschichtswissenschaft mit einem Interesse an den vielfältigen Einflüssen der heidnischen Weisheit auf das Christentum. Das war laut Hanegraaff genau der richtige Ansatz. Wäre diese Forschungstradition weiterentwickelt worden, sähe es heute in der Esoterikforschung anders aus.
Thomasius hob am Heidentum zwei Elemente hervor: den Glauben, die Welt sei gleichewig mit Gott und den Glauben, der Mensch könne zu einer Erfahrungserkenntnis seiner eigenen göttlichen Natur gelangen. Diese beiden Elemente können auch heute der wissenschaftlichen Analyse der Esoterik zugrunde gelegt werden.
Die Gleichewigkeit der Welt mit Gott kann zu Dualismus oder Pantheismus führen, meist aber tritt sie in der Esoterik in der Form eines Panentheismus auf, den man auch als »Kosmotheismus« bezeichnen kann. Laut Assmann ist dieser Kosmotheismus, die Vorstellung, Gott sei in der Welt, die ihn in tausend Bildern verberge und zugleich enthülle, der wahre Gegensatz des Monotheismus. Frances A. Yates bezeichnete ersteren als die »Religion der Welt«. Als logischer Gegensatz des Monotheismus, für den Gott strikt von der Schöpfung getrennt ist, konnte dieser Kosmotheismus nie wirklich in das Judäochristentum integriert werden. Aber als zentraler Bestandteil der heidnischen Philosophie, die von den Kirchenvätern in das christliche Denken aufgenommen wurde, konnte er auch nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Entstehung der Esoterik ist auf einen tiefen Konflikt zwischen diesen beiden Denkmodellen zurückzuführen. Ihre logische Unvereinbarkeit führte zu einer Reihe endloser Versuche, die durch diese Unvereinbarkeit aufgeworfenen Probleme zu lösen.
Die Annahme eines inneren Erfahrungsweges, der zur Erkenntnis Gottes und zur Erlösung führt, war mit dem Kosmotheismus logisch verbunden. Da das Göttliche auch in der Seele wohnte, galt es dieses zu entdecken und zu entwickeln, um zur Erkenntnis des Kosmotheos zu gelangen. In der Esoterik ging es nicht um den Anspruch auf ein »höheres«, elitäres Wissen, sondern darum, dass eine unmittelbare Erkenntnis des Göttlichen möglich sei – letztlich für jeden Menschen.
Diese beiden Elemente sind in esoterischen Diskursen auf die eine oder andere Art stets enthalten, auch wenn durch sie allein keine Definition des Esoterischen möglich ist. Esoteriker haben in der Regel kein kompaktes Programm des »Kosmotheismus und der Gnosis« vertreten, sondern versucht, einen kulturellen Raum zu verhandeln, in dem sie angesichts der Übermacht von Monotheismus und Rationalismus überleben konnten. Es gab keine esoterische Verschwörung, sondern Esoteriker, die versuchten, ihre Kompromissformen der Spiritualität vor den Gegnern zu retten, die sie als das radikal »Andere« vollständig ausgrenzen wollten, während sie selbst sich immer als »zugehörig« verstanden. Letztlich erscheint die Esoterik nicht deswegen als relativ abgegrenztes Gebiet, weil sie tatsächlich eine scharf umrissene Gegenkultur gebildet hätte, sondern weil sie von ihren Gegnern als solche konstruiert wurde.
Diese polemische Konstruktion fand im 17. und 18. Jahrhundert statt und ist von der Konstruktion der Identität der Moderne nicht zu trennen. Das kulturelle Erinnerungsbild der Esoterik wurde während des 18. Jahrhunderts als das polemische »Andere« der Moderne geschaffen, die sich in diesem Prozess der Abgrenzung selbst konstruierte. Der Diskurs über die alte Weisheit in der Renaissance folgte der Grammatik der Einschließung: das heidnische »Andere« konnte durch die Erzählungen der »philosophia perennis« und der »prisca theologia« als zum Christentum gehörig verstanden werden. Die protestantischen und aufklärerischen Polemiker folgten einer Grammatik der »Orientalisierung«, sie definierten ihre eigene Identität durch die Ausgrenzung des »Anderen«. Aber diese Logik der Ausgrenzung verkehrt sich allzuleicht ins Gegenteil, weil das Verdrängte besonders starke Sehnsüchte hervorruft. Die bloße Andersartigkeit kann dem Anderen eine exotische Attraktivität verleihen, die nicht im Sinne der Erfinder der Ausgrenzung war. So konnten die Romantiker das, was die Aufklärer als »schlecht« ausgeschlossen hatten, wieder als »gut« einschließen, indem sie sich gegen die seelenlose Wissenschaft und den flachen Rationalismus der Aufklärung stellten. Diese Umkehrung lag dem Mesmerismus und der romantischen Rede von der »Nachtseite« der Natur zugrunde, die schließlich zur Jungschen Psychologie und zu den Versuchen der esoterischen Wiederverzauberung der Welt im 20. Jahrhundert führte. Im Verlauf dieser Entwicklung wurde aus dem Kehrichthaufen der Geschichte wieder eine positiv besetzte Kategorie.
Hanegraaff hält es aus wissenschaftlichen Gründen für erforderlich, den kollektiven Gedächtnisverlust, der weite Teile der Geschichte des abendländischen Geistes betrifft, rückgängig zu machen und die ideologischen Verzerrungen dieser verdrängten Inhalte zu beheben. Er stützt sich bei dieser Argumentation auf Jan Assmann und seinen Begriff der »Gedächtnisgeschichte«. Während die gewöhnliche Geschichte behauptet, »zu berichten, was geschah«, erforscht die Gedächtnisgeschichte, wie wir das »Geschehene« erinnern. Neben die Geschichte muss also eine Gedächtnisgeschichte treten, die erforscht, wie die spezifischen Erzählungen über die Vergangenheit entstanden sind, die den Inhalt der herkömmlichen Geschichte bilden. Ein Hauptproblem unserer kollektiven Erinnerung besteht darin, dass sie in hohem Grade selektiv sein muss, um kommunizierbar zu sein, Vergessen ist für sie genau so wichtig, wie Erinnern. Das kollektive Gedächtnis unterscheidet kaum zwischen Fakten und Fiktionen, so dass letztere leicht für erstere gehalten werden.
Die von Hanegraaff vorgelegte Untersuchung versteht sich als Beispiel einer solchen Gedächtnisgeschichte. Sie erweist die beträchtliche diskursive Macht gedächtnisgeschichtlicher Konstruktionen, die in hohem Ausmaß die Phänomene konstruieren, von denen sie behaupten, sie würden sie beschreiben, weil die unterdrückte Komplexität die Einfachheit und Überzeugungskraft der Erzählungen stören würde. Die »westliche Esoterik« ist so gesehen ein »imaginatives Konstrukt im Bewusstsein der Intellektuellen und des Publikums« und keine »historische Realität« im eigentlichen Sinn des Wortes. Aber sie verweist auf religiöse Tendenzen und Weltsichten, die real existiert haben und von den Parametern erfasst werden, die erstmals vom protestantischen Anti-Apologeten Jacob Thomasius formuliert wurden. Diese Parameter hängen mit der Dynamik der monotheistischen Religionen und ihrer Berufung auf Glaube und Vernunft zusammen. Mit anderen Worten: der Kosmotheismus und die Gnosis entstehen, weil das Göttliche als getrennt von der Welt und unzugänglich für die menschliche Vernunft vorgestellt wird.
Die Methode der Gedächtnisgeschichte muss laut Hanegraaff »anti-eklektisch« sein, sie muss den Kanon der modernen wissenschaftlichen Kultur in Frage stellen. Indem sie dies tut, muss sie die Tatsache anerkennen, dass das kulturelle Erbe des Abendlandes weitaus reicher ist, als die Lehrbücher glauben machen. Man kann Marsilio Ficino oder Pico della Mirandola nicht auf ein paar Fußnoten reduzieren, es ist unmöglich Astrologie und Alchemie aus der Geschichte der Wissenschaften auszuschließen, man kann das 18. Jahrhundert nicht zu einem »Jahrhundert der Vernunft« erklären, indem man stillschweigend die Überfülle an Beweisen ignoriert, dass es zugleich ein Jahrhundert des »Illuminismus« und der Theosophie war, man kann den Okkultismus nicht als Überbleibsel des Irrationalen abwerten, der keinerlei Bedeutung für die Kultur der Moderne habe, und man kann auch nicht die gegenwärtigen Formen der Esoterik als irrationalen Unsinn oder Bedrohung der Demokratie abtun. All diese Haltungen beruhen auf systematischer Selektion, sie alle wollen nur anerkennen, was in ihr jeweiliges ideologisches Programm passt, während sie alle historischen oder empirischen Tatsachen ignorieren, die dieses Programm gefährden könnten.
Auch die anti-eklektische Geschichtsschreibung verzichtet nicht auf Auswahl. Jeder Historiker muss eine Auswahl treffen, wenn er eine Geschichte erzählen will. Aber entscheidend ist, dass sie ein Gegengift gegen die Forderung darstellt, die Historiker müssten ihre Auswahl aufgrund normativer, doktrinärer philosophischer Urteile treffen.
Die Geschichte der Esoterik sollte eine klare wissenschaftliche Agenda verfolgen: die vielen weißen Flecke auf der Landkarte unserer Geschichte zu erforschen, so dass sie in den weiteren Rahmen der Geschichte des abendländischen Geistes integriert werden können. Beim Verfolg dieses Projektes wird sich das angeblich Fremdartige möglicherweise in einen normalen Bestandteil der abendländischen Kultur verwandeln, und was früher als »Kosmotheismus« oder »Gnosis« verworfen wurde, wird sich als legitime Möglichkeit erweisen, die Natur zu betrachten und nach Erkenntnis zu suchen. Wie Kunst oder Poesie werden diese Erkenntnisformen als eigenständige Wege betrachtet werden, sich mit dem Menschsein in der Welt auseinanderzusetzen, mögen sie sich auch noch so sehr von den gängigen akademischen Routinen unterscheiden.
Die Konsequenzen dieser Agenda hält Hanegraaff für beträchtlich. Wenn es zutrifft, dass die Esoterik das »Andere« ist, durch dessen Ausschließung die abendländische Identität konstruiert wurde, dann hängen beide voneinander ab und können nicht unabhängig voneinander existieren. Wenn die herrschenden Bilder des »Anderen« sich als Vereinfachungen oder Verzerrungen erweisen, dann müssen auch die spiegelbildlichen Selbstbilder einer Revision unterzogen werden. Wie wird das Abendland also sein Selbstbild und seine grundlegenden Werte definieren, wenn es dem ausgestoßenen Feind seiner Imagination im Fleisch begegnet ist und ihn als Familienmitglied aufnimmt? Werden wir ihm erlauben, uns zu verändern, oder wird er uns verändern, ohne dass wir es bemerken?’
2 opmerkingen:
Weet je dat bijv. Op de ipad de teksten van antrovista en de nieuwsbronnen helemaal door elkaar lopen?
Ja, ik weet dat, Kees. Maar ik ben er nog niet aan toegekomen om Wilfried Nauta van AntroVista te vragen wat er in de code veranderd moet worden om dit te voorkomen. Want toen deze mogelijkheid om de AntroVista-agenda te integreren ontstond, hadden iPhone en iPad nog niet zo’n grote vlucht genomen als tegenwoordig. Nu wordt het inderdaad steeds hinderlijker dat bij die apparaten de agenda aan de onderkant niet ‘binnen de lijnen’ blijft.
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