Ja, nu gaat het hard. We nemen de Parijse metro om op tijd op het Gare du Nord te zijn, om de trein terug naar Nederland te halen.
Vandaag een vervolg op wat in ‘Onderzoeksdagen’ op 28 januari en ‘Bologna’ op 11 februari ter sprake kwam. Want op de website van de ‘Rudolf Steiner Forschungstage für Studenten und junge Wissenschaftler’ staat onder ‘Dokumente’ nog altijd dit artikel van Wolf-Ulrich Klünker uit ‘Die Drei’ van juni 2011, dat overigens bij dit maandblad zelf niet te vinden is. Het heet Professioneller Dillettantismus (Die Drei, 2011), met als ondertitel ‘Die Fragilität der Geisteswissenschaft und ihres Begründers’. Ik laat het hier in zijn geheel volgen. Het is overigens geen gemakkelijke tekst, maar het gaat wel over een kernprobleem, dus zullen we er moeite voor moeten doen:
Vandaag een vervolg op wat in ‘Onderzoeksdagen’ op 28 januari en ‘Bologna’ op 11 februari ter sprake kwam. Want op de website van de ‘Rudolf Steiner Forschungstage für Studenten und junge Wissenschaftler’ staat onder ‘Dokumente’ nog altijd dit artikel van Wolf-Ulrich Klünker uit ‘Die Drei’ van juni 2011, dat overigens bij dit maandblad zelf niet te vinden is. Het heet Professioneller Dillettantismus (Die Drei, 2011), met als ondertitel ‘Die Fragilität der Geisteswissenschaft und ihres Begründers’. Ik laat het hier in zijn geheel volgen. Het is overigens geen gemakkelijke tekst, maar het gaat wel over een kernprobleem, dus zullen we er moeite voor moeten doen:
‘Irgendetwas muss grundsätzlich anders werden. Die schlechte Alternative muss überwunden werden: zwischen letztlich despektierlichen »objektiv-wissenschaftlichen« Biographien Rudolf Steiners aus der Außenperspektive und spiritueller Erhöhung bis hin zur Apotheose des Menschen aus der Innenperspektive. Wie erreicht man eine Wirklichkeit »Rudolf Steiner«?
Hinzu kommt das Problem der Wirklichkeit von »Geisteswissenschaft«. Es ist einfach eine schlechte und wesenhaft nicht entwicklungsfähige Alternative, an die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners entweder den Maßstab der Erkenntnislehre Kants anzulegen und somit die Geisteswissenschaft aus einer Sicht zu kritisieren, die sie selbst ihrer Intention nach aufheben wollte; oder im anderen Lager esoterisch-religiöse Inhalte als überaus relevant zu erachten, als deren Qualitätsmerkmal es sogar gilt, dass man sie selbst nie hätte erlangen können.
Mit anderen Worten lautet die Frage, wie man das mehr als problematische Gegenüber von akademischer Wissenschaft und Offenbarungsbewusstsein endlich hinter sich lassen kann. Denn solche Positionierungen nageln die Gegenwart des 21. Jahrhunderts wirklich auf längst vergangene Zeiten fest, nämlich (in strenger Beurteilung) auf Problemstellungen des Mittelalters oder (eher wohlwollend beurteilt) auf diejenigen Kants, der ja etwa mit seinen »Träumen eines Geistersehers« ein solches Gegenüber von Wissenschaft und Offenbarung für seine Epoche fixiert hat.
Worin besteht die spezifische Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaft, wenn sie nicht nur am Maßstab gegebener akademischer Wahrheitsbegriffe und entsprechender Diskursgepflogenheiten gemessen wird? Wie kann man das bloße Postulat einer esoterischen Wahrheit und Bedeutung endlich ins Archiv überholter religiöser Vorstellungen transponieren, wenn dabei nur auf die Hellsicht oder Einweihung des verehrten Lehrers verwiesen werden kann? Beide Haltungen sind weit entfernt von den Intentionen und den Forschungsergebnissen Rudolf Steiners. Diesen kann man sich nur nähern, egal ob kritisch oder affirmativ, wenn man einen eigenen geisteswissenschaftlichen Weg beschreitet und einen eigenen geisteswissenschaftlichen Standpunkt einnehmen kann. Das ist eine erste große Schwierigkeit: Man kann sich selbst nicht existentiell draußen, nicht auf Distanz halten, wenn man dem untersuchten Gegenstand gerecht werden, also »objektiv« sein will.
Was ebenso schwierig ist: Wenn Geisteswissenschaft (kritisch) gewürdigt werden soll, wird meist auf die Inhalte und Methoden im Werk Rudolf Steiners geblickt. Das gilt sowohl für die weltanschaulichen und wissenschaftlichen Kritiker als auch für diejenigen, die sich diesen Inhalten und Methoden mit innerer Anteilnahme und bestätigend zuwenden. Wobei es interessant ist zu beobachten, dass auf beiden Seiten die Inhalte weitaus deutlicher ins Bewusstsein gefasst werden als die Erkenntnismethoden. Man muss stark bezweifeln, dass die wissenschaftlichen Analysten oder auch die spirituell Zustimmenden wirklich eine nähere Kenntnis der Methode geisteswissenschaftlicher Forschung besitzen – denn diese würde im Sinne der oben genannten ersten Schwierigkeit voraussetzen, dass man selbst dieser Methoden mächtig ist, und, darüber hinaus, sie sogar für sich selbst eigenständig fortgebildet hat. Es gilt hier nämlich (wie immer in der Esoterik und zunehmend auch im Leben) der eherne Grundsatz, dass nur Gleiches Gleiches erkennt. Die zweite gravierende Schwierigkeit besteht also darin, dass Geisteswissenschaft ihrem Wesen nach nicht historisch fixiert werden kann. Sie entwickelt sich mit dem Menschen, genauer gesagt mit der menschlichen Individualität.
Die dritte Schwierigkeit ist folgende: Man kann, wenn man kritisch oder affirmativ auf Rudolf Steiner selbst zugeht, nicht auf ihn vor neunzig oder hundert Jahren fixiert bleiben. Wenn man nach Geisteswissenschaft fragt, müsste man auf die gegenwärtige Geisteswissenschaft blicken, wohlgemerkt nicht auf die gegenwärtige Rezeption der damaligen Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. So auch bei der Frage nach ihrem Begründer. Rudolf Steiner selbst ist in größere Missverständnisse und Schwierigkeiten geraten, weil er unter »Goethe« nicht den damals historischen Goethe verstand, der seit neunzig oder hundert Jahren Vergangenheit war. Auch die Wirklichkeit von »Nietzsche« lag für Steiner in dem sich geistig weiter entwickelnden Nietzsche seiner Gegenwart – auch wenn Nietzsche selbst (geistig umnachtet) noch lebte: Wo wäre Nietzsche hingelangt, wenn er seine persönlich-geistige Schwelle bewusst hätte überschreiten können? Nur in dieser Sichtweise ist man nicht gezwungen, weltanschauliche und wissenschaftliche »Widersprüche« bei Rudolf Steiner zu postulieren, wenn er auf das Buch »Nietzsche – ein Kämpfer gegen seine Zeit« in der Wiener Klinischen Wochenschrift zwei Aufsätze folgen lässt, die sich mit der Psychopathologie der Philosophie Nietzsches und des Menschen Nietzsche befassen. – Wie gelangt man also heute zur Gegenwärtigkeit der Realität »Rudolf Steiner«? Das ist die dritte gravierende Schwierigkeit.
Was musste und muss sich dieser Mensch alles an Zuschreibungen und Projektionen gefallen lassen! Der Grund dafür ist menschlich und geisteswissenschaftlich zugleich; es gilt hier nämlich in zugespitzter Weise ein weiterer esoterischer Grundsatz, eine Paradoxie, mit der wissenschaftlich und menschlich nicht leicht umzugehen ist: Man kann sich heute dem Geistigen nur menschlich nähern und dem Menschlichen nur geistig. Dieser Grundsatz besitzt in Zeiten nachhaltiger Individualisierung unbedingte Geltung. Seine Bedeutung nimmt mit der Entwicklung biographischer und geistiger Individualität zu.
Allein schon aus dieser Voraussetzung ergibt sich, dass der im Titel angesprochene Dilettantismus nicht despektierlich gemeint sein kann, sondern sich auf die Menschlichkeit der Erkenntnis und auf die Erkenntnisbezogenheit des Menschen bezieht. Kaum etwas ist nämlich so schwierig, wie zu vermeiden, in die Fallstricke einer einseitigen Professionalisierung zu geraten, insbesondere in diejenigen einer Erkenntnisprofessionalisierung.
Es gibt einen Begriff von Objektivität und Wahrheitsgeltung, der eine Erkenntnis entindividualisiert und insofern enthumanisiert, als die Erkenntnisergebnisse von dem Erkennenden ablösbar sein sollen. Selbstverständlich werden wissenschaftlich auch andere Zugänge diskutiert und praktiziert; aber die Nachwirkung des hier gemeinten wissenschaftlichen Objektivitätsideals ist doch fast noch überall spürbar, gerade auch in der Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner.
Einige Veröffentlichungen der letzten Monate haben gezeigt, wie leicht die menschliche Dimension ausgeblendet und (vielleicht gerade deshalb) das sogenannte Allzumenschliche merkwürdig betont werden kann. Letzteres soll dann in der Regel gegen die Wahrheitsgeltung des geisteswissenschaftlichen Inhalts aussagefähig sein. Solche Positionen sehen darüber hinweg, dass für die Geisteswissenschaft eine menschliche Reduzierung den Inhalt reduziert und umgekehrt die inhaltliche Reduzierung den Blick auf den Menschen vollständig verstellt. Denn in der Geisteswissenschaft wird Wissenschaft zur Lebenshaltung, wie umgekehrt die Wissenschaft Lebenselemente in sich aufnimmt. Der Geist-Erkenntnisprozess des Geisteswissenschaftlers ist nur insofern wahrheitsfähig, als er Lebensprozess wird; andererseits kann das Erkenntnisverhältnis nur dann ein Lebensverhältnis werden, wenn das Leben selbst in die Wahrheitssphäre eintritt. Diese Beziehung ist mit derjenigen zu vergleichen, die man beispielsweise einem eigenen Kind gegenüber entwickelt. Was hier erlebt wird, kann lebensbezogen nur dann positiv wirksam werden, wenn es wahr ist – aber wahr können nicht irgendwelche Vorstellungen und Wünsche im Hinblick auf das Kind sein, sondern nur diejenigen Empfindungen und Intentionen, die sich auch lebensbezogen und zwischenmenschlich einlösen. Anfangs noch unbewusste Dimensionen der gegenseitigen Beziehung zeigen sich allmählich im Vollzug; in diesem Vollzug wird vieles anders, als es vorher denkbar war. Aber sowohl in der Beziehungstiefe als auch für die Wahrheit (oder Wahrhaftigkeit) der Lebensentwicklung des Kindes kann sich nur einlösen, was zuvor (natürlich korrekturfähig) in der Intention, in der Empfindung und im denkenden Bewusstsein des Erwachsenen war. Diese Einlösung des Verhältnisses von Wahrheit und Leben braucht die wechselseitige Beziehung als Entwicklungsmittel. Es wird sich menschlich und biographisch nur dann Wahrheit zeigen, wenn aus menschlich empfundenem Interesse gelebt und gehandelt wird, wenn also die Wahrheit menschlich und das Menschliche in der Wahrheit erscheint.
Ist eine solche Wahrheitsbeziehung professionalisierbar? Wird sie erst dann wahr, wenn sich die wissenschaftliche Pädagogik dazu äußert? Wie ist hier das Verhältnis zwischen wirkender Ursache und lediglich spiegelnder Bewusstseinsbildung? Wie können Bewusstsein und wirkende Kraft zusammenkommen? Erst wenn diese Frage ernsthaft gestellt und wissenschaftlich wie lebensbezogen eingelöst wird, beginnt die Geisteswissenschaft. Dann gibt es keine lineare Fortsetzung von Erkenntnis mehr, aber auch keine einfach biographische Fortsetzung von Leben. Vielmehr findet eine Überkreuzung von Erkenntnis und Leben, von Biographie und Wahrheit statt, die früher mit dem Begriff Einweihung bezeichnet wurde.
Jedoch ist dieses Verhältnis in der Überkreuzung nicht zu einfach vorzustellen. Es zu klären ist aber auch deshalb dringlich, weil in einer Gegenwart zunehmender geistiger Individualisierung immer stärker die Merkmale einer früheren Eingeweihtenexistenz in die »normale« Biographie des Ich übergehen. Immer mehr Menschen machen die Erfahrung, dass es Momente gibt, in denen ein bestimmtes geistiges Erleben artifiziell, also mit einem Willensnachdruck, der nicht einfach aus dem Leben stammt, zum lebensbestimmenden Faktor gemacht werden muss. Intentionen werden dann biographisch wirksam, die sich aus der Biographie selbst und damit aus der Vergangenheit niemals ergeben hätten. Und in der Folge kann es zu einer Vergeistigung des Lebensprozesses in dem Sinne kommen, dass er fast magisch-elementarisch nach außen wirksam wird: Die Verhältnisse, die Objektbezüge, die Objekte selbst verändern sich, wie man es vorher nicht hätte antizipieren können. Das gilt selbst für die eigene Existenz, sogar in ihrer Vergangenheitsdimension. Eine solche Wirkung in den »Objekt«bereich hinein ist aber nur möglich, wenn sich der eigene Wahrheitsbezug mit dem Leben befreundet; wenn mit anderen Worten das Leben insofern erkenntnisrelevant wird, als man sich mit seinen Begriffen mitten im Leben und in der Führung durch das Leben und nicht nur an dessen Rändern und in dessen Reflektion bewegt.
Die Überkreuzung von Wahrheit und Leben darf auch insofern nicht als zu einfach aufgefasst werden, als der selbstverständliche Lebensprozess zunächst etwas abstrakt werden muss, bevor er wirklich aufnahmefähig für den Geist wird. Nichts, was für das Selbstgefühl zufriedenstellend funktioniert, wird wirklich wahrheitsfähig. Es muss in der Krise des mitgebrachten Selbstgefühls ein gewisses Wahrheitsgefühl ausgebildet werden, wenn an einer Schwelle des Lebens und Grenze der Empfindung die Unsicherheit des nächsten Schritts erlebt wird. Geisteswissenschaft ist existentiell, weil ihre Fragen sich in solchen Situationen des Ich generieren – und nicht, weil ihre »Inhalte« so »wichtig« sind. Geisteswissenschaft arbeitet in diesem Sinne bei demjenigen, der sie hervorbringt, eigentlich permanent an der Überwindung des biographisch und konstitutionell Mitgebrachten. Geisteswissenschaft besteht somit in der Intention des Ich, durch Erkenntnis Ich-Form in alle Lebensgebiete hineinzutragen, und der Anfang davon liegt notwendigerweise in der eigenen Existenz. Ist ein solches Wahrheitsverhältnis professionalisierbar und überprüfbar?
Nur der angegriffene, in diesem Sinne nicht mehr ganz lebensvolle Existenzprozess wird wahrheitsfähig; umgekehrt kann nur das noch nicht verfestigte, das noch nicht allzu selbstsichere Wahrheitsverhältnis lebensfähig werden. Vermutlich ist nur ein anfänglicher, permanent mit dem eigenen Ich in Empfindungsresonanz stehender und insofern schwacher und noch nicht professionalisierter Erkenntnisprozess ätherisch sensibel. Im Intellectus-Begriff des älteren Aristotelismus lebt etwas von dieser Unsicherheit und damit ätherischen Empfindlichkeit der Erkenntnis und des Erkennenden. Es lebt (wenn auch nicht explizit formuliert, so doch im Hintergrund der entsprechenden Aussagen) sogar etwas von dem Empfinden, dass die Objekte, dass die Welt ätherisch sensibel reagieren, dass sie anders werden, wenn man sich ihnen in einer solchen ätherisch-fragilen Erkenntnishaltung nähert. Erkenntnis ist dann nicht Wiedergabe von ohnehin Gegebenem, sondern Veränderung der Wirklichkeit, Wirkung von Ich-Form.[1]
Eine solche Geisteswissenschaft kann nicht »sicher« sein. Man muss mit ihr leben, sie muss ihre Objekt- und Lebensresonanzen zeigen können. Diese treten nicht besonders deutlich oder gar drastisch hervor. Solche Wirkungen bemerken zu können, setzt eine ähnliche Sensibilität voraus wie die geisteswissenschaftliche Erkenntnis selbst. Und derartige Wirkungen sind zunächst schwer zu demonstrieren oder gar zu beweisen, insbesondere wenn das Gegenüber sie nicht sehen will oder kann. Die Resonanzen dieser Erkenntnisse müssen eben genauso fragil sein wie die Erkenntnisse selbst. Dazu gehört auch, dass sie niemandem einleuchten können, der sich nicht mit ihrem Urheber verbinden kann. Individualität und Erkenntnis, Individualität und Relevanz einer Einsicht sind im geisteswissenschaftlichen Bereich nicht zu trennen.
Hier zeigt sich eine menschenkundlich entwicklungsnotwendige Folge eines esoterischen Zusammenhangs, der in der Tradition des Aristotelismus zumindest im Hintergrund immer wieder erörtert wurde: die Wesensverwandtschaft von Intellektualität und Individualität. Die Intellektualität, nicht in ihrer schlecht reputierten Verfallsform, sondern in ihrer ursprünglichen Eigenschaft als Erkenntnisinteresse im Leben, ist Träger und Entwicklungskraft der Individualität. Strader, ein Protagonist der Mysteriendramen Rudolf Steiners, ist ein Repräsentant wissenschaftlichen Denkens. Aus seinen Erkenntnissen geht eine Erfindung hervor, die für die weitere Weltentwicklung Technik und menschliche Freiheit versöhnen sollte. Dieser Strader fühlt sich zu einer besonders nachdrücklichen Formulierung der Beziehung von Erkenntnisurheber und Erkenntnisinhalt bzw. -folge gedrängt:
»Und während meiner Arbeit dacht‘ ich oft:
Was kann ich einem Menschen sein, der nur
Versucht zu wissen, wie die Kräfte wirken,
Die ich dem Mechanismus eingepflanzt?
Und was dagegen bin ich einer Seele,
Der ich mein Inneres liebend öffnen darf?«[2]
Rudolf Steiner stammte aus einer Familie ohne intellektuellen oder esoterischen Hintergrund. Seine beiden Geschwister waren behindert bzw. an der Grenze der Behinderung. Er verdankte in seiner geistigen Entwicklung vieles Menschen, mit denen er lebensbezogen verbunden war. Davon sind in seinem autobiographischen »Lebensgang« viele Merkzeichen vorhanden. Auch die veröffentlichten Briefe können hier zu aufschlussreichen Beobachtungen führen, beispielsweise in der Reaktion von Pauline Specht auf die Veröffentlichung der Philosophie der Freiheit – und Rudolf Steiners Umgang damit.[3] In diesen Verbindungen besteht noch ein größeres Forschungsfeld, in das allerdings auch die weniger überzeugenden menschlichen Verbindungen einbezogen werden müssten, ohne sie überhöhend wegzudiskutieren oder despektierlich auszuschlachten: etwa die Beziehung zu Anna Eunike, der späteren Anna Steiner, der er nach seiner sukzessiven Trennung von ihr in einem Brief nahelegt, sie müsste selbst etwas wollen.[4]
Wo bleibt der Mensch, wenn er dauernd geistig überhöht wird? Wo bleibt der Mensch, wenn esoterische Entwicklung mit linear fortschreitender geistiger Höherentwicklung verwechselt wird? Wenn das moralische Missverständnis vorliegt, dass »hohe Inhalte« automatisch auch Lebenstiefe beinhalten müssten? Wenn nicht berücksichtigt wird, dass im Zuge menschlicher Vertiefung oftmals inhaltliche Fülle reduziert werden muss? Der Verzicht auf geistige Fülle zugunsten einer Vermenschlichung und damit letztlich einer Verchristlichung der Geisteswissenschaft ist übrigens eine Entwicklungsfigur, die deutlich im Werk Rudolf Steiners zu beobachten ist, wenn man etwa die esoterischen Klassenstunden und die »Leitsätze« des Jahres 1924 mit früheren Darstellungen vergleicht.
Auch Rudolf Steiners Zeichnungen und Bilder sind alles andere als professionell. Manche seiner Kunstelemente, Motive und Darstellungsarten zeigen darüber hinaus unmissverständlich, wie sie sich an zeitgenössische Formen des Jugendstils anlehnen. Dennoch gibt es hier vieles, das gerade in seiner Anfänglichkeit ungeheure Wirkungen entfalten könnte, wenn es seiner Intention nach aufgefasst würde. Es ist gar nicht nötig, darin »esoterische« Kunst oder Bedeutung zu sehen. Ein für behinderte Kinder spontan gemaltes Bild strahlt noch heute in seiner nichtprofessionellen Naivität und Menschlichkeit die merkwürdige Kraftwirksamkeit aus, die es vor fast neunzig Jahren unmittelbar entfalten konnte (s. Abbildung rechts[5]). Ist eine solche Vorgehensweise und Wirkung künstlerisch oder wissenschaftlich zu fassen? Kinder und Betreuer konnten sich jedenfalls noch Jahre und Jahrzehnte später an den Stimmungsnimbus erinnern, der von dem Bild ausging.
Ähnliches gilt auch für therapeutische und menschenkundliche Aussagen im engeren Sinne. Wenn Rudolf Steiner etwa in dem kurzen Votum zur Psychiatrie Begriffe vom Menschen fordert, die unmittelbar aus dem Leben stammen und dieses nicht einfach deskriptiv zu fassen suchen. Wenn er in derselben kurzen Darstellung darauf aufmerksam macht, dass das schwächste Glied eines menschlichen Zusammenhangs zum Symptomträger und damit äußerlich betrachtet »krank« werden kann, während der eigentlich Kranke nur seelisch und konstitutionell stärker ist[6] – eine Auffassung, die erst fast ein halbes Jahrhundert später wissenschaftlich denkbar wurde. Wenn er beispielsweise im Heilpädagogischen Kurs davon spricht, dass sich das Denken selbst vorgeburtlich im Gehirn und Nervensystem einen Spiegelungsapparat für das irdische Bewusstsein schafft; dass das vorgeburtliche Kraft-Denken, das sich im irdischen Abbildbewusstsein selbst vergisst, wesentlich von den Umgebungserfahrungen der vorangegangenen Inkarnation abhängt.[7]
Wenn er in seinem autobiographischen »Lebensgang« eine Erkenntnislehre entwickelt, die Wahrheit davon befreit, lediglich Abbild einer gegebenen Wirklichkeit zu sein; wenn er betont, dass der Mensch sich vielmehr durch seine Erkenntnis in die Dinge und in die Welt hinein entwickelt und dass ein solches Verständnis von Wahrheit als einziges vor individueller Resignation bewahrt; wenn er kurz davor dieses Erkenntnisverhältnis so charakterisiert, dass geistig nur die Erkenntnisfragen gestellt werden können, die dann bewirken, dass die Antworten dem Fragenden existentiell und im Leben begegnen.[8] Wenn in den Anthroposophischen Leitsätzen etwa zur selben Zeit deutlich wird, dass die Gedanken des normalen Spiegelungsbewusstseins tot sind, dass das Ich aber in diesem Toten lebt und sich die Beziehung zu höheren geistigen Hierarchien erschließen kann, wenn es sich das Leben im toten Denken umfassend erarbeitet.[9]
All diese menschenkundlichen Perspektiven können Horizonte einer menschlichen Selbsterkenntnis und ein Selbstgefühl des Ich eröffnen, die Depression und Resignation, Isolation und Weltverlust überwinden. Noch sind diese Perspektiven im alten Sinne nicht wissenschaftlich erweisbar. Sie könnten aber zur wissenschaftlichen Menschenkunde werden, wenn sie von einem gestaltenden Ich-Bewusstsein der Gegenwart, also des 21. Jahrhunderts, beleuchtet und damit eingelöst würden. Ihre bloße (zustimmende) Zurkenntnisnahme als Offenbarung einer »höheren« Wirklichkeit würde sie schlichtweg lähmen. Denn auch Rudolf Steiner hat sich im Sinne der hier angedeuteten Beziehung von Schöpfer und Werk inzwischen weiterentwickelt; allein diese Weiterentwicklung kann das frühere geisteswissenschaftliche Werk erschließen und damit heute einem wissenschaftlichen Bewusstsein zugänglich machen. Die Aussagen von damals müssen also in der Gegenwart von dort aus angeschaut werden, wo sich Rudolf Steiner heute befindet: in einer Situation, in der sich gegenüber dem beginnenden 20. Jahrhundert das Verhältnis des Menschen zur Elementarwelt, zu den Hierarchien, aber auch zu anderen Menschen grundlegend geändert hat, nicht zuletzt durch die schicksalsgestaltenden 30er und 40er Jahre des vergangenen
20. Jahrhunderts; in einer Situation, in der irdische und geistige Welt so nahe zusammengekommen sind, dass auch der (man verzeihe mir die Aussage) Restdualismus, der der Geisteswissenschaft aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts noch anhaftet, überwunden wäre, wenn Geisteswissenschaft heute dafür erwachen könnte.
[1] Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass der individuelle Intellectus-Begriff des Thomas von Aquin, den er vor allem an Aristoteles‘ Schrift De anima entwickelt, damals alles andere als wissenschaftlich abgesichert war. Im Gegenteil: Je länger man sich mit der wissenschaftlichen Situation der 60er Jahre des 13. Jahrhunderts beschäftigt, desto deutlicher wird, dass die Gegenseite, die einen nicht individuellen Geistbegriff vertrat, die wissenschaftlich sichere war. Die Position des Thomas war damals bei aller Feingliedrigkeit der Argumentation eher Intention und Empfindung, nicht anerkannter Stand der Forschung – und gerade deshalb sollte sie für die Individualitätsentwicklung der Zukunft und für den Ich-Begriff der Anthroposophie so wichtig werden.
Auch Sigmund Freuds Werk Die Traumdeutung und damit die Entwicklung seiner Psychoanalyse war zu Beginn des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich nicht begründbar und sollte doch das Denken und Fühlen der Menschen des gesamten Jahrhunderts bestimmen wie kaum ein anderer menschenkundlicher Ansatz. Jahre oder Jahr zehnte später begann der wissenschaftlich-psychologische Diskurs sich an Freud zu orientieren, nachdem sich zunächst hochrangige Vertreter der Wissenschaft über diesen Ansatz nur humoristisch äußern konnten. »Wissenschaftlich« waren dagegen Freuds frühere Forschungen zur Verwendung von Kokain – aber sie hatten keine Zukunftsbedeutung.
[2] Der Hüter der Schwelle, 1. Bild (GA 14). – Die Erkenntnisse sind nur über den Erkennenden zugänglich, denn der Erkennende hat nicht nur die Kräfte des »Mechanismus« erkannt, sondern sie ihm auch »eingepflanzt«. Ein solcher »Mechanismus« kann (auch außerhalb der Technik) nur funktionieren, wenn die oben geschilderten Voraussetzungen gegeben sind.
[3] Vgl. den Briefwechsel zwischen Pauline Specht und Rudolf Steiner in GA 39. – Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Pauline Specht Rudolf Steiner eine wattstarke Petroleumlampe schickte, als er schon längst nicht mehr in ihrer Familie tätig war – damals eine absolute technische Neuentwicklung, die noch heute auf dem Markt ist (»Petromax«); in dem Begleitbrief geht es um die Erleuchtung am Schreibtisch.
[4] Vgl. den Brief 596 in GA 39. – In eine solche Perspektive gehört auch die Beziehung zu seinem Herausgeber Kürschner, dem er wiederholt offen kundig absichtlich Fehlinformationen zukommen lässt. Auch hier ist nichts »Höheres« zu interpolieren, andererseits auch keine moralistische Reaktion sinnvoll.
[5] Wilhelm Uhlenhoff: Die Kinder des Heilpädagogischen Kurses. Krankheitsbilder und Lebenswege, Stuttgart 1994, S. 41.
[6] Votum vom 26. 3. 1920 (GA 314).
[7] Heilpädagogischer Kurs, insbes. 1. und 2. Vortrag (GA 317).
[8] Mein Lebensgang, Kap. XXII (GA 28).
[9] Anthroposophische Leitsätze, Nr. 59 (GA 26). – Der genannte Leitsatz kann heute problemlos in der geschilderten Weise aufgefasst werden.
Autorennotiz: Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker, geb. 1955 in Holzminden. Begründer der DELOS-Forschungsstelle für Psychologie (Berlin), Leiter der Turmalin-Stiftung (Rondeshagen bei Lübeck) und Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland. Vortragstätigkeit; Forschungen und Veröffentlichungen auf den Gebieten Geistesgeschichte, Psychologie und therapeutische Menschenkunde. Buchveröffentlichungen u.a.:
Selbsterkenntnis – Selbstentwicklung. Zur psychotherapeutischen Dimension der Anthroposophie (2. Aufl. 2003); Christus und das Schicksal des Menschen (2001); Die Erwartung der Engel. Der Mensch als neue Hierarchie (2006, 3. Aufl. 2010); Wer ist Johannes? Dimensionen der Letzten Ansprache Rudolf Steiners (2006); Die Antwort der Seele. Psychologie an den Grenzen der Ich-Erfahrung (2007); Anthroposophie als Ich-Berührung (2010). Im Mai erscheint: Die Empfindung des Schicksals: Biographie und Karma im 21. Jahrhundert. – Kontakt: DELOS-Forschungsstelle, Stubenrauchstr. 77, 15732 Eichwalde, delos@t-online.de
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