Michael Mentzel van ‘Themen der Zeit’ doet het vandaag veel netter dan ik. Hij komt een interessant interview met Walter Kugler in weekblad ‘Das Goetheanum’ tegen en refereert dat gewoon netjes, met steeds stukjes citaat. En neemt niet zoals ik zo’n interview dan helemaal over. Zo weet je toch ongeveer wat erin staat. Ik blijf mijn gemakzuchtige aard trouw en neem daarom zijn stuk compleet over. Het is getiteld ‘Anthroposophie heute. Bitte warten’:
‘Manches in der Welt wird sofort erledigt, Anthroposophie dauert etwas länger. Walter Kugler im Gespräch mit Wolfgang Held in der aktuellen Wochenschrift. “Das Goetheanum” setzt sich in seiner aktuellen Ausgabe schwerpunktmäßig mit der Frage der Rezeption von Rudolf Steiner auseinander. Interessant ist, was Walter Kugler dazu zu sagen hat.
mm/tdz. – Am Beispiel der Biographie von Miriam Gebhardt konstatiert Walter Kugler, Leiter des Steiner-Archivs in Dornach: “Wäre Steiner mit seinen Vorstellungen und Ideen in einer Nische geblieben, niemand hätte sich um ihn kümmern müssen. Manche ertragen auch nicht, dass jemand etwas Gutes will und dabei auch alte Kategorien wertschätzt wie etwa das Streben nach dem Wahren, Schönen und Guten.” Biographien wie die von Gebhardt, die “feuilletonistisch geschrieben” seien, seien “recht vergänglich”. Kugler findet in dem Gebhardt-Buch nicht viel, “worüber es sich lohnt, nachzudenken”. Sie hätte zwar wunderbare Zitate verwendet, “beispielsweise über Meditationsübungen oder aus dem Aufsatz “Wie Karma wirkt”, aber, so Kugler, damit könne sie nichts anfangen.
Ob die Bezeichnung “Lebensreformer” ein Weg sei, Rudolf Steiner auf “Augenhöhe” zu bekommen, fragt Wolfgang Held. Kuglers Antwort ist, dass der Topos des Lebensreformers zwar ein “willkommener Anknüpfungspunkt” für viele Menschen sei, allerdings ist Kugler der Meinung, dass sich viele bereits am Ziel wähnen, weil sie sich selbst “gerne für reformerisch” halten. Die Ausstellungen in Wolfsburg und jetzt in Stuttgart hätten aber doch einiges bewegt: “So mancher bemerkt dort, dass hinter einem Bild, hinter einer Form Geist steckt. Und das ist es, worum es geht.”
Lebensreform sei dann ein “brauchbarer Topos” wenn man sich selbst in das Reformkonzept mit einbeziehe und seinen eigenen Anteil dabei erkenne. Aber, so Kugler, warum hätte Miriam Gebhardt nicht die Frage gestellt, warum es die vielen anderen Reformprojekte – er nennt “Hellerau”, “Monte Veritá”, “Worpswede” und die “Mathildenhöhe” aus Darmstadt – nicht mehr gebe. Die Antwort darauf gibt er selbst: Diese Reformbewegungen hätten im Gegensatz zu der “umfassenden Konkretheit”, wie sie bei Steiner zu finden sei, immer “selektiv auf bestimmte Dinge” gesetzt: Vegetarismus, FKK, den Tanz, die Bildende Kunst oder auch die gesunde Ernährung. Steiners “universelles Erkenntnisinteresse, das sich auf alle Lebensgebiete erstreckt und diese auslotet und neu gestaltet, das ist wirklich einmalig und wie wir sehen von Dauer.”
Walter Kugler glaubt allerdings, dass es noch 50 Jahre dauert, bis Steiner “verstanden” wird. Überzeugen könne man nur mit “Gedankenrichtungen”. Wir, und damit meint Kugler diejenigen, die “auf der Strecke der steinerschen Erkenntnis wandern”, müssten Farbe bekennen; dazu sei es aber nötig, auch “unsere Unfertigkeit in die Schale (zu) werfen.” Das aber würde noch einige Zeit dauern. Schlechte Aussichten für den einen oder anderen, der sich bereits am Ziel wähnt?
Viele “vor- oder hintergründige Ungeklärtheiten” könnten nach Kugler eben auch zu sachlichen Fehlern führen, wie Kugler sie in der Biographie von Gebhardt entdeckt hat. Hier nennt er falsche Angaben wie die über den KZ-Arzt Rascher oder über einen Orden, den Steiner angeblich für Steiners Dreigliederungsaktivitäten bekommen haben soll.
Um Steiner zu verstehen, käme es darauf an, “das Wesen des Spirituellen in unserer gegenwärtigen Welt ständig präsent” zu halten und es damit “erlebbar, greifbar” zu machen. Es gehe nicht um eine “nebulöse, mystifizierende Gefühlsspiritualität, die das eigene Wohlbefinden nährt”, sondern darum, ein - spirituelles - Verständnis zu den Dingen und daraus einen Gestaltungswillen zu entwickeln. “Viele, die wirklich berührt seien, propagieren diese Art von Spiritualität nicht unmittelbar nach außen, weil sie als zu kostbar erlebt wird.” Kugler nennt den Künstler Tony Cragg, der sich frage: “Was wäre das 20. Jahrhundert ohne Rudolf Steiner?” Craggs Antwort: “ Eine Katastrophe!”. Hier sei die innere Berührtheit zu spüren, sagt Walter Kugler, allerdings: “Die meisten Kulturschaffenden, die so intim mit Rudolf Steiner umgehen, behalten das für sich, weil sie wissen, dass das heute noch nicht diskursfähig ist.”
Steiner ließe sich zwar für “Momente”, nicht aber auf längere Sicht integrieren, merkt Kugler an, nennt dieses aber eine “Herausforderung” und darauf komme es an. Es sei wichtig, das aktuelle Kulturgeschehen bewusst wahrzunehmen und sich daran zu “orientieren”. Man könne bemerken, dass “wir nicht allein sind”, es gebe hochinteressante Partner, der Dialog müsse aus “unserer Souveränität” heraus gesucht werden.
2 – unüberbrückbare kluft
Wie es scheint, sind jedoch mit den “hochinteressanten Partnern” wohl eher nicht die derzeitigen Biographen Steiners gemeint. Am ehesten dürfte von diesen noch Heiner Ullrich für sich in Anspruch nehmen, zumindest die Waldorfpädagogik einem größerem Leserkreis zugänglich gemacht zu haben. Allerdings ist Lorenzo Ravagli – auch er in der aktuellen Ausgabe der Wochenschrift – nicht ganz einverstanden mit dem Wissenschaftsverständnis des Professors für Erziehungswissenschaften; obwohl er Ullrichs Verdienste nicht “schmälern” wolle, dem er “insbesondere in seinen systematischen Referaten des anthroposophischen Menschenbildes einige originelle, lesenswerte philosophische Reformulierungen” attestiert, hat Ravagli doch einiges auszusetzen. Denn die Kapitel über “Lehre” und “Rezeption und Kritik” seien der eigentliche Kern des Buches und dieser Kern läse sich “wie ein Gutachten über den Wissenschaftsanpruch der Anthroposophie, das zu einem vernichtenden Urteil gelangt: Zwischen der 'essentialen' Wissenschaft Steiners und der Forschungspraxis sowie dem theoretischen Selbstverständnis der modernen Wissenschaften besteht eine unüberbrückbare Kluft.” Ullrich selbst stelle sich, so Ravagli, auf einen “bestimmten weltanschaulichen Standpunkt”, der mit jenem einer “essentialen Wissenschaft unvereinbar ist”, und er gelange aus diesem Grund zu seinem “vernichtenden Urteil.”
3 – im reich der fabel?
Und damit wenigstens auch Helmut Zander in dieser kurzen Zusammenfassung erwähnt ist, hier noch der letzte Absatz der – ebenfalls von Lorenzo Ravagli stammenden – Rezension des Buches “Rudolf Steiner. Die Biographie”. Auch diese erschien in der aktuellen Wochenschrift: “Es kann nicht darum gehen, Zanders Erzählung eines Mangels an Tatsachentreue zu überführen, die sie gar nicht beansprucht. Sie will ja nicht die ‘abschließende’, ‘wahre Deutung’ sein, weil es eine solche in der Biografik laut Zander ‘nicht geben kann’, weil jede Biografie ‘Fabel und Faktum’ zugleich ist. Mag seine Erzählung auch mehr Fabel als Faktum ein – wenigstens ist sie gut geschrieben.”’
Die twee laatste delen verwijzen dus naar Lorenzo Ravagli; die kennen we hier ook. Even naar zijn ‘Anthroblog’ gegaan en inderdaad, daar treffen we sinds gisteren twee nieuwe boekbesprekingen aan. De eerste heet ‘Befreiter Erzähler’:
‘Helmut Zander verbindet eine tiefe biographische Beziehung mit Rudolf Steiner und der Anthroposophie. Bereits 1995 legte er eine theologische Dissertation zu Steiners »Theorie der Reinkarnation« vor, die den Nachweis erbringen sollte, dass diese nicht mit dem katholischen Dogmengebäude vereinbar sei. 2001 verfasste er einen Beitrag zu Stefanie von Schnurbeins Sammelwerk »Völkische Religion und Krisen der Moderne«, in dem er weitreichende Thesen über Steiners »Rassismus« und dessen Verbindungen zum völkischen Okkultismus vertrat, von denen er sich inzwischen wieder verabschieden musste. Im Jahr 2007 erschien sein Monumentalwerk »Anthroposophie in Deutschland«, seit dem er als »Experte« für Anthroposophie gilt. Das sind nur die wichtigsten Publikationen, in denen sich die Metamorphose Zanders vom katholischen Dogmatiker zum »aufgeklärten Historiker« andeutet. Wer sich in seine neueste Produktion vertieft, wird Zeuge einer neuen Wandlung: Zanders Phantasie hat sich endgültig der Fessel wissenschaftlicher Formalität entledigt, die sie bisher gefangen hielt. Wenn schon seine »Anthroposophie im 20. Jahrhundert« über weite Strecken ein Werk der Fiktion war, so tritt uns nun der Verfasser endgültig als freier Erzähler entgegen.
Der Untertitel weist das Werk nicht unbescheiden als »die Biographie«, als die autoritative Meistererzählung aus, die alle früheren Versuche einer Steiner-Deutung in den Schatten stellt. Aber dieser Anspruch ist nur eine Fiktion, die vom Verfasser selbst im Nachwort wieder relativiert wird. Und als abgründiges, virtuoses Spiel mit Fiktionen und Fakten erscheint Zanders gesamte Erzählung.
Eine dieser Fiktionen ist die Behauptung, seine Biographie sei ein Versuch, »aus den Trümmern, die wir Fakten nennen, Steiner zu verstehen« und sie bemühe sich, seine »Leistungen anzuerkennen«. Denn viele der Schlüsselfakten, auf die der Erzähler sich stützt, sind eigene oder fremde Erfindungen. Von Steiners wirklichen Leistungen aber wird so gut wie nichts greifbar, weil die gesamte Erzählung auf der Fiktion beruht, das grundlegende Faktum, aus dem alle Leistungen Steiners hervorgegangen sind: die Existenz einer geistigen Wirklichkeit und die Möglichkeit ihrer Erkenntnis, sei eine Fiktion. Wie kann man ernsthaft den Anspruch erheben, die Lebensleistung eines Menschen zu verstehen, wenn man das Fundament seines Selbstverständnisses so radikal negiert, wie Zander dies tut? Ein wenig erinnert diese Grundkonstellation an die historische Bibelkritik, die zum Ergebnis führte, das Christentum sei aus einer literarischen Fiktion hervorgegangen: kein Christus, keine Auferstehung, keine Erlösung – aber rund zweitausend Jahre wirkte die Kirche als geistige Weltmacht aufgrund des Glaubens. Was ist von der Feststellung zu halten, Steiner sei zu »einem der bedeutenden Religionsstifter und Weltanschauungsdenker des 20. Jahrhunderts aufgestiegen«, wenn das Leben dieses »Religionsstifters« gleichzeitig als eine ununterbrochene Ansammlung von Lügen, Verstellungen, Hochstapeleien und Momenten des Versagens geschildert wird? Wäre diese Fiktion »wahr«, träfe Zanders radikale Entmythologisierung zu, müßte man sie dann nicht gerade als Beweis für die Faktizität dessen betrachten, was sie leugnet? Ist nicht die erfolgreiche Lüge ein faktischer Beweis für die Wirkungsmacht des Idealismus, für die Realität des Fiktiven? Auf Zanders Erzählung angewendet: Sollten sich die darin enthaltenen Fiktionen als Rekonstruktionen einer angeblichen Realität in der Rezeption durchsetzen, wäre dies der Tatbeweis, der sie selbst widerlegt.
Greifen wir, um diese abstrakten Erwägungen ein wenig mit Fleisch zu versehen, irgendwo in den Strom der Erzählung hinein. Nehmen wir das unverfängliche Thema »Steiner und der Sex«. Hundert Jahre lang haben wir geglaubt, dieses Thema gebe es nicht. Aber Zander klärt uns, wie über vieles andere, so auch über diesen Irrtum auf. Vom Studenten erfahren wir wahrheitsgemäß, welche Rolle er Frauen in seinem Leben zugestand: »Das ist echte Liebe«, zitiert Zander den 19jährigen, »wo man mit dem Bilde zufrieden ist und das Fleisch nicht braucht, ja es unterdrückt.« Für einen Kolportageroman ist das natürlich etwas wenig, aber eine andere Wahrheit hinter dieser »platonisch-verklemmten« Fassade läßt sich zu Tage fördern. Anlaß gibt das Verhältnis Steiners zu Anna Eunike, die er 1899 ehelichte. »Ob auch Sexualität dazugehörte, weiß niemand«, gesteht Zander wahrheitsgemäß. Aber irgendwo muss Steiner doch seine Bedürfnisse befriedigt haben? Richtig: »Zumindest hatte Steiner wohl diese Bedürfnisse schon einmal bei einer Prostituierten befriedigt, wenn er von Weimar aus nach Wien zurückfuhr. Das jedenfalls dürfte Rosa Mayreder in aller Zurückhaltung gemeint haben, als sie berichtete, dass sich ihre Schwägerinnen im Hotel Matschakerhof ... über Steiners ›zweifelhafte Damenbesuche‹ beschwerten ...« Ob Rosa Mayreder wirklich das gemeint hat, was Zander in ihre Äußerungen hineinliest – das weiß niemand. Aber damit nicht genug. Denn nun tritt Marie von Sivers in das Leben Steiners und Zander berichtet: »Diese junge Dame war dabei, die Rolle der Geliebten an Steiners Seite einzunehmen.« Im Oktober des Jahres 1903 »soll ›es‹ dann passiert sein. Steiners Stieftochter Emmy spähte durch die Jalousie in ein Zimmer, in dem sich ihr Stiefvater und seine Geliebte befanden, und sah, ›dass die beiden, im Bett liegend, sich so benahmen, wie eben Mann und Frau in erotischer Weise zusammenkommen.‹ Diese Auskunft« so Zander, »hat allerdings ein doppeltes Problem: Emmy Eunike war vermutlich nicht gut auf ihren Stiefvater zu sprechen. Schwerer noch wiegt, dass Schwarz-Bostunitsch, der behauptete, einen persönlichen Brief von Emmy Eunike mit diesen Informationen zu besitzen, ein völkischer Steiner-Hasser war. Und deshalb stehen auch die anderen Informationen, die Schwarz-Bostunitsch aus seiner Quelle bietet, unter Vorbehalt.« Aber statt diese kruden Phantasien eines »völkischen Steiner-Hassers« auf sich beruhen zu lassen, breitet sie Zander genüsslich aus, um sie dann zu kommentieren: »All das klingt doch sehr nach gehässigen Halbwahrheiten, aber dass Steiner mit Marie von Sivers möglicherweise geschlafen hat, ist deshalb auch nicht gleich eine Falschmeldung.« Schwarz-Bostunitsch ist keine Fiktion, aber alles, was Zander im Anschluss an ihn behauptet, schon. Das gesteht Zander ja selbst ein. Und daher dementiert er auch dessen Gerüchte, wenigstens halb, als »Halbwahrheiten«. Schwarz-Bostunitsch behauptete übrigens auch, Steiner habe seine Ehefrau später aus einer vorbeifahrenden Straßenbahn »astralisch stranguliert«. Trotz aller Dementis bleibt übrig, dass Marie von Sivers »möglicherweise« mit Steiner geschlafen hat. Mit derselben fiktiven Logik könnte man auch behaupten, dass Steiner seine Frau stranguliert habe, klinge zwar nach gehässiger Halbwahrheit, müsse deswegen aber noch lange keine Falschmeldung sein. So geht es viele Sätze weiter und schließlich faßt Zander zusammen: »Bald darauf dürfte sich die gehörnte Ehefrau mit ihren Kindern von Steiner getrennt haben.« Gehörnte Ehefrau? Aufgrund einer Behauptung gehörnt, die möglicherweise keine Falschmeldung war?
Etwa in der Mitte des Buches erfahren wir, wiederum wahrheitsgemäß, dass Steiner nichts mit Sexualmagie am Hut hatte, entgegen manchen Gerüchten über seine Rolle im O.T.O. »Denn Körperdistanz prägte alle Praktiken Steiners, von der Meditation über die Freimaurerei bis zur Eurythmie. Nun könnte man vermuten, dass gerade sexuelle Riten ein Ventil für die ansonsten verdrängten Bedürfnisse gewesen seien, aber für eine solche These bräuchte es mehr als bloße Spekulation.« Warum gilt die Spekulation hier nicht mehr als ausreichendes Argument, wo sie doch sowohl für den »Prostituiertenbesuch« als auch für den »Ehebruch« mit Marie von Sivers ausreichend war? Man könnte das Thema noch fortführen, denn Steiner arbeitete später auch mit Edith Maryon und Ita Wegman zusammen, doch Zanders diesbezügliche Phantasien sind nur Variationen des bereits charakterisierten Schemas.
Aber dieses Schema wiederholt sich unablässig, es ist gewissermaßen das generierende Prinzip der gesamten Erzählung. Zunächst wird eine Vermutung eingeführt, die sich wenig später zur Tatsache mausert – oder eine fiktive Tatsache, die von vorneherein zum Faktum erklärt wird –, und aus diesen »Faktionen« werden weitreichende Folgerungen gezogen. Nehmen wir zwei beliebige andere Beispiele. Über den Ausbruch des I. Weltkriegs schreibt Zander: »Aber schon der Ausbruch des Krieges war für Steiner eine Niederlage. Warum hatte er, der große Hellseher, diesen nicht vorhergesehen? ... Am 13. September 1914 gestand er offen, dass der Krieg für ihn ›überraschend ... hereingebrochen‹ sei, und erst langsam begann er das Gegenteil zu behaupten. ›Daß diese Ereignisse eintreten mußten, konnte man seit Jahren voraussehen‹ – aber da schrieb man schon den 30. September.« Was sagte Steiner in seinem Vortrag am 13. September 1914 tatsächlich? »Lange voraussehen konnte man dasjenige, was jetzt scheinbar so überraschend hereingebrochen ist über die ... Erdenmenschheit. So überraschend ist es hereingebrochen, weil mitgewirkt haben bei diesem Ereignis auch ... okkulte Ursachen.« Steiner »gestand« also am 13. September keineswegs, der Krieg sei für ihn überraschend hereingebrochen, sondern sprach vielmehr davon, man habe dieses »scheinbar überraschende Hereinbrechen« schon lange voraussehen können – und zwar sagte er dies bereits am 13. und nicht erst am 30 September. Das Beispiel könnte belanglos erscheinen und es zu erwähnen pedantisch, aber Zander dient es als Nachweis für ein Versagen von Steiners Erkenntnismethode und als Eingeständnis dieses Versagens durch Steiner selbst – und das ist nicht belanglos.
Kurz darauf holt unser Erzähler weit aus, um Steiner vorwerfen zu können, er habe »massiv gelogen«: nämlich mit der Behauptung, er habe bei seiner Überarbeitung der 1900 erschienenen »Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhundert«, nur unwesentliche Änderungen vorgenommen, Widersprüche zu früheren Positionen seien dadurch nicht entstanden. Zander findet in der Erstausgabe eine »radikale Kritik am Idealismus«, die zu den »prononciertesten Aussagen seines damaligen Atheismus« zähle, eine Kritik, die Steiner bei seiner Überarbeitung um 180 Grad gewendet habe. Um welche Passage handelt es sich?
Bei Zander lautet sie wie folgt: »Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Ideen erhalten durch mich ihr Wesen ... Im Erkennen der Ideen enthüllt sich nun gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ... ist in keiner anderen Form vorhanden als in der von mir erlebten.« Diese Stelle soll sich laut Anmerkung im ersten Band auf Seite II finden. Man muss in der Erstausgabe schon etwas herumsuchen, bevor man fündig wird: eine Seite II sucht man jedenfalls vergeblich. Fündig wird man auf S. 188 des zweiten Bandes, im Kapitel »Ausblick«. Lesen wir nach, was Steiner schreibt: »Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden, als in der von mir erlebten.«
Von mir kursiv gesetzt wurde eine wirklich gravierende Textänderung, aber die stammt von Zander, nicht von Steiner. Nicht die Ideen empfangen bei Steiner ihr Wesen vom denkenden Menschen, sondern die Dinge. Steiner legt 1900 Wert darauf, die Ideen als freie Hervorbringungen des Menschengeistes zu kennzeichnen, die nicht aus den bloß wahrgenommenen Dingen oder einem Ding an sich herausgeholt werden können, sondern vom Menschen jeweils neu hervorgebracht werden müssen. Das ist auch mit der Formulierung gemeint, im Erkennen der Ideen enthülle sich nichts, »was in den Dingen einen Bestand« habe: das ideelle Wesen der Dinge besteht nicht schon vor dem Erkennen in den Dingen, in der Form, in der es im menschlichen Bewußtsein zur Erscheinung kommt. Diese Beobachtung findet sich bereits in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...« von 1883, die nach Zander eine völlig andersgeartete, ideenrealistische Position vertraten. Der Gedankengehalt der Welt erscheint für Steiner 1883 einerseits durch die »Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins« und zugleich als »in sich bestimmter ideeller Inhalt« und er betont schon damals, daß das Feld der Gedanken »einzig das menschliche Bewußtsein« sei, was der »Objektivität« ihres Inhalts keinen Abbruch tue. Was aber an der Auffassung, die Ideen seien ein freies Erzeugnis des Menschengeistes und dieser füge den Dingen der Wahrnehmungswelt durch seinen Geist ihr Wesen hinzu, radikale »Kritik am Idealismus« und zugleich »Atheismus« sein soll, ist völlig schleierhaft.
Wie gesagt, die Beispiele sind beliebig. Lassen wir es damit genug sein. Es kann nicht darum gehen, Zanders Erzählung eines Mangels an Tatsachentreue zu überführen, die sie gar nicht beansprucht. Sie will ja nicht die »abschließende«, »wahre Deutung« sein, weil es eine solche in der Biographik laut Zander »nicht geben kann«, weil jede Biographie »Fabel und Faktum« zugleich ist. Mag seine Erzählung auch mehr Fabel als Faktum sein, – wenigstens ist sie gut geschrieben.
De tweede bespreking betreft het ook door Michael Mentzel genoemde boek van Heiner Ullrich. Deze is getiteld ‘Obsolete Rituale’:
‘Der Mainzer Pädagogikprofessor Heiner Ullrich bemüht sich, wie er in der Einleitung seines Buches schreibt, »mit größtmöglicher Fairness«, »aus einer kritischen, aber nicht polemischen Außenperspektive« in Leben und Lehre Rudolf Steiners einzuführen. So sehr diese Fairness zu begrüßen ist, erhebt sich für den unvorbereiteten Leser doch die Frage, woher das Bedürfnis rührt, kritische Distanz, Außenperspektive und Fairness zugleich zu betonen. Würde Ullrich solche Sätze auch schreiben, wenn er in Leben und Lehre Sigmund Freuds oder C. G. Jungs einführte?
Wie dem auch sei – um sein »intellektuelles Porträt« Steiners zu zeichnen, orientiert sich Ullrich an dessen Autobiographie, die er nach wie vor (trotz Helmut Zanders Monumentalwerk) als die »wichtigste Quelle« betrachtet. Steiner erscheint in seiner Schilderung als intellektuell und sozial unbehauster Fremdling, der – aus »bildungsfernen Verhältnissen« stammend – einen steinigen Weg zurücklegen mußte, bis er in einem »vordarwinistischen, idealistischen All-Einheitsdenken« seine vorläufige geistige Heimat fand. (Miriam Gebhardt hält diese »Bildungsferne« übrigens für einen Mythos, siehe: »Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet«, S. 37).
Als wesentlichen Baustein der geistigen Identität Steiners identifiziert Ullrich einen »empirischen Idealismus«, dessen Quellen in Goethe und durch Goethe hindurch im Neuplatonismus zu suchen seien. In seiner Würdigung des jugendlichen Goetheforschers taucht das erste Mal jenes kritische Motiv auf, das Ullrich später weiter ausbauen wird: während nämlich Goethe sich der »von Kant gesetzten Grenzen« des menschlichen Erkennens bewußt gewesen sei, habe Steiner diese Grenzen stets überschreiten wollen. Kein Erfolg war laut Ullrich Steiners Versuch beschieden, sich durch seine philosophische Dissertation in einer akademischen Laufbahn zu etablieren und so blieb ihm nur das wenig erfüllende Dasein als Hauslehrer. Erst nach »jahrelangem intellektuellem Herumirren« habe Steiner schließlich in der Theosophie seine »definitive geistige Heimat« gefunden. Doch bevor es dazu kam, habe er erst eine Phase des »individualistischen Anarchismus« in Anlehnung an Nietzsche und Stirner durchlaufen. Ullrich spricht in einer Zwischenüberschrift von Steiners »Bekehrung zur Theosophie«, ohne diese Bekehrung näher zu erläutern. Warum Steiner um 1900 begann, die Mystik als »religiös-spirituelle Erfahrung« darzustellen, die mit dem Erkenntnisanspruch der neueren Naturwissenschaft vereinbar sei, bleibt unerklärt. Zwar spricht Ullrich davon, Steiner habe sich »systematisch« in das »kanonisierte Lehrgebäude der Theosophie« einzuarbeiten begonnen, das in Blavatskys »Geheimlehre« und den Schriften Besants vorgelegen sei. Aber angesichts der vom Biographen selbst zugestandenen empirischen Komponenten seines mystischen Idealismus, hatte Steiner eine Konversion gar nicht nötig, da der intuitiv-schauende Zugang zur »natura naturans« seiner Begegnung mit der Blavatsky-Theosophie historisch vorauslief. Jedenfalls habe Steiner seit dieser Begegnung den »riskanten« Versuch, die Aussagen der theosophischen Geheimlehre und seine eigenen Schauungen als Resultate eines wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses zu erweisen, zu seinem Lebensprojekt erhoben. Doch Steiner systematisierte nach Ullrich die Theosophie nicht nur, er nahm auch »wichtige inhaltliche Erweiterungen« vor, besonders in bezug auf die Deutung des Christentums. Über die irrtümliche Behauptung des Biographen, Steiner habe sich gegen Annie Besant um das Amt des Präsidenten der Theosophischen Gesellschaft beworben, sei aber »durchgefallen«, darf man hinwegsehen. Was Steiners »Theosophie« von derjenigen Blavatskys und Besants unterschied, war laut Ullrich auch ihr Bezug auf das ästhetische und später soziale Leben. Ausführlich würdigt er die Mysteriendramen und die Eurythmie, von der er allerdings meint, sie lehne sich »nicht ungeregelt und kreativ« gegen die Konventionen des klassischen Tanzes auf, sondern »unterwerfe sich im Dienst an der übersinnlichen Welt« einer »strikt ritualisierten Formensprache«. Auch den ersten Goetheanumbau würdigt Ullrich als »alternativ-religiösen Tempel«. Als »charismatischer Gründer« der »allein auf ihn« zugeschnittenen Anthroposophischen Gesellschaft habe Steiner im letzten Jahrzehnt seines Lebens eine »stupende Reise- und Vortragstätigkeit« entfaltet. Die sozialen Erneuerungsprojekte geraten in den Blick des Biographen: die Dreigliederung des sozialen Organismus, an deren Konzeption des freien Geisteslebens er bemängelt, sie stünde mit ihrem »platonisch-geistesaristokratischen« Ansatz in einer Spannung zum demokratischen Parlamentarismus: ein inzwischen schon klassisch zu nennendes Mißverständnis der Selbstverwaltung und der Befreiung der Wissenschaften, Künste und Religionen von der Bevormundung durch den Staat. Auch der Waldorfpädagogik, der geistigen Heilkunst, der Christengemeinschaft, der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und der Heilpädagogik sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Mit Steiners »Erschöpfung und Tod« schließt die Skizze eines Lebens, das Ullrich als »produktiven Entwicklungsprozess« verstehen möchte, der ebenso durch »Krisen und Metamorphosen« gekennzeichnet sei, wie durch »Polaritäten und Steigerungen«. Nun folgen die beiden Hauptkapitel »Die Lehre« und »Rezeption und Kritik«, die ein gutes Drittel des Buches einnehmen, das mit einer abschließenden, in die Tiefe gehenden Abhandlung über die Waldorfpädagogik – Steiners »größten Erfolg« – schließt.
Nun kann diese Rezension nicht der Ort einer detaillierteren Auseinandersetzung mit der Kritik sein, die Ullrich an Steiners voraussetzungsloser Erkenntnistheorie, seinem angeblichen »Rückgriff« auf den Neuplatonismus und die Gnosis, an seinem Wissenschaftsverständnis, seinem Freiheitsbegriff und an einigen grundlegenden Elementen der Waldorfpädagogik, wie etwa der Lehre von den Temperamenten, übt. Stattdessen seien einige grundsätzliche Überlegungen erlaubt. Die folgenden Bemerkungen sollen keineswegs die Verdienste Ullrichs schmälern, dem insbesondere in seinen systematischen Referaten des anthroposophischen Menschenbildes einige originelle, lesenswerte philosophische Reformulierungen gelingen. Aber es gibt doch ein grundsätzliches Problem in der Perspektive des ganzen Buches, das zugleich ein individuelles ist.
Heiner Ullrich steht als Pädagogikprofessor einer staatlichen Universität, der über Waldorfpädagogik und Anthroposophie schreibt, im Zentrum der Bruchlinien unserer sich transformierenden Gesellschaft und bleibt von ihren gegenwärtigen Erschütterungen nicht unberührt. Als habilitierter Sachwalter sanktionierter Rationalität schreibt er nicht nur als Wissenschaftler über einen wissenschaftlichen Gegenstand, sondern auch als Träger eines bestimmten, ritualisierten akademischen Selbstverständnisses über alternative Wissens- und Lebensformen. Und so tauchen die Leser seines Buches in eine Gespensterdebatte ein: sie haben es nicht nur mit dem Pädagogikprofessor Ullrich zu tun, sondern auch mit unterschiedlichen geistigen Mächten der Gegenwart, die um das Verständnis von Wissenschaft, Rationalität und Wirklichkeit ringen. Seine Urteile, so »fair« sie auch gemeint sind, betreffen nie nur den historischen Gegenstand, mit dem er sich befaßt, sondern sind stets auch auf die gegenwärtigen Debatten bezogen, in denen an unterschiedlichen Paradigmen ausgerichtete Weltanschauungen miteinander ringen.
Daher bilden auch die Kapitel über »Lehre« und »Rezeption und Kritik« den eigentlichen Kern seines Buches, die Kapitel über Steiners Leben und die Waldorfpädagogik sind mehr oder weniger Beiwerk. Und dieser Kern hat es in sich. Er liest sich wie ein Gutachten über den Wissenschaftsanspruch der Anthroposophie, das zu einem vernichtenden Urteil gelangt: »Zwischen der ›essentialen‹ Wissenschaft Steiners und der Forschungspraxis sowie dem theoretischen Selbstverständnis der modernen Wissenschaften besteht eine unüberbrückbare Kluft.« (S. 109) Dieses Urteil gilt nicht nur für Steiner, sondern auch für seine »Schülerschaft«: »Sie begibt sich in die bildhaft-analogisierenden Denkweisen des Mythos zurück und tradiert so von der modernen Wissenschaft längst verabschiedetes antiquiertes Wissen.« (S. 183) Auf den zwanzig Seiten des Kapitels »Kritik und Rezeption« wird dieses Urteil wie ein Mantra in leichter Abwandlung ständig wiederholt.
Ullrich gelangt zu diesem vernichtenden Urteil, weil er selbst sich auf einen bestimmten weltanschaulichen Standpunkt stellt, der mit jenem einer »essentialen« Wissenschaft unvereinbar ist. Und dieser Standpunkt wird von ihm verabsolutiert. Sein spezielles Verständnis von Wissenschaft wird im Handumdrehen zum normativen Begriff. Möglich ist dies nur, weil die Zugehörigkeit zum Establishment der Wissenschaft Ullrich die scheinbare Autorität verleiht, solche Urteile über die »Wissenschaftlichkeit« von Wissensformen zu fällen, die anders geartet sind, als die von ihm vertretene.
Es hat keinen großen Sinn, sich mit Ullrich über diese Urteile zu streiten, zumal er sie schon seit den 1980er Jahren unverändert propagiert und sich als kritikresistent erwiesen hat. Sinnvoller ist es, die von ihm in Anspruch genommene Autorität in Frage zu stellen, die nicht einmal die seinige ist, sondern die eines Denkkollektivs. Und dies braucht man nicht selbst zu tun, das tun zeitgenössische Wissenschaftstheoretiker.
»Seit langem schon«, meint Peter Galison, der in Harvard Geschichte der Wissenschaften und der Physik lehrt, »hat man es in der Wissenschaftsphilosophie aufgegeben, unumgängliche und ausreichende Kriterien zu finden, die Wissenschaft eindeutig definieren. Man muss akzeptieren, dass keine Theorie – sei es die konfirmationistische Theorie eines Rudolf Carnap, der Poppersche Falsifikationismus oder die Reichenbachsche Wahrscheinlichkeitstheorie – es schaffen wird, alles Wissenschaftliche auszulesen und Nichtwissenschaft oder Metaphysik übrig zu lassen. Es gibt keine Möglichkeit, Pseudowissenschaft eindeutig abzugrenzen.« (Dirk Rupnow et al, Pseudowissenschaft, Frankfurt 2008, S. 436)
Wer also eine bestimmte Form der Erkenntnispraxis als »Pseudowissenschaft« oder »Nichtwissenschaft« oder »Vorwissenschaft« tituliert, steht nicht auf der Höhe der wissenschaftsphilosophischen Reflexion. Er bedient sich eines »Kampfbegriffs«, der eine nichtexistente Norm der Wissenschaftlichkeit voraussetzt. Er tut dies, um polemische oder politische Absichten zu verschleiern. Mitchell G. Ash, Wissenschaftshistoriker an der Universität Wien, läßt daran keinen Zweifel: » ›Pseudowissenschaft‹ ist ein Kampfbegriff, dessen Verwendung eine lange Geschichte hat, dessen Gehalt sich jedoch kaum eindeutig fixieren läßt. Er dient der Ein- und Ausgrenzung und kann daher ... als mehr oder weniger zuverlässiger Indikator dessen dienen, was in gegebenen zeitlichen und fachlichen Kontexten als Wissenschaft gelten sollte und was nicht. Damit dient er auch als Ressource im Kampf um die Festlegung der jeweils geltenden Grenzen der Mitgliedschaft in der Wissenschaftlergemeinschaft sowie um die öffentliche Positionierung der Wissenschaftlergemeinschaft als Denkkollektiv.« (Ebenda, S. 451)
Die Verwendung der Prädikate »pseudowissenschaftlich« oder »unwissenschaftlich« gibt also lediglich Aufschluß darüber, wie der jeweilige Akteur, der diese Begriffe verwendet, sich selbst und andere im Wissenschaftsdiskurs seiner Zeit und seines jeweiligen Denkkollektivs verortet. Es sagt aber nichts über die Validität des Gegenstandes oder der Methoden aus, denen diese Prädikate zugeschrieben werden. Gemessen an dieser Einsicht, erscheint die Verwendung der Prädikate »wissenschaftlich« und »unwissenschaftlich« im politischen oder medialen Diskurs als inhaltsleeres, tautologisches Ritual. Jeder Fernsehzuschauer kennt die aufklärerischen Formate, in denen »wissenschaftliche Experten« zu Wort kommen, die sich zu diesem oder jenem Gegenstand und seiner »Wissenschaftlichkeit« äußern. Sowohl der Journalismus, der sich dieser »Experten« bedient, als auch diese selbst, erfüllen eine bestimmte soziale oder politische Funktion. Sie zielen darauf ab, unorthodoxe Denkweisen zu häretisieren. Sie sind Akteure im kulturpolitischen Machtkampf, im Streit der Paradigmen und Ideologien.
Die Konsequenz aus der Unmöglichkeit, einen allgemein verbindlichen Begriff der Wissenschaft zu formulieren, hat Paul Feyerabend bereits 1976 gezogen: »Es gibt keinen klar formulierbaren Unterschied zwischen Mythen und wissenschaftlichen Theorien. Die Wissenschaft ist eine der vielen Lebensformen, die die Menschen entwickelt haben, und nicht unbedingt die beste. Sie ist laut, frech, teuer und fällt auf. Grundsätzlich überlegen ist sie aber nur in den Augen derer, die bereits eine gewisse Position bezogen haben oder die die Wissenschaft akzeptieren, ohne jemals ihre Vorzüge und ihre Schwächen geprüft zu haben.« (Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt 1976, S. 385) Solche Sätze sind heute nicht weniger gültig, als vor dreißig Jahren.
Hören wir noch einmal Ash: »Konkret bedeutet dies ..., dass es keine allgemeingültige, überzeitlich geltende Antwort auf die Frage gibt und auch keine geben kann, wie Wissenschaft von Nicht- oder eben Pseudowissenschaft unterscheidbar sein soll. Denn es gibt ... keine überzeitlichen Kriterien zur Festlegung dessen, was Pseudowissenschaft heißt und auch keine Möglichkeit, dies ohne Berücksichtigung der intellektuellen und sozialen Ein- und Ausschlußkriterien der wissenschaftlichen Denk- und Handlungskollektive der jeweiligen Zeit zu tun. Diese Ein- und Ausschlußkriterien sind bestenfalls – wenn überhaupt – mittels empirischer Untersuchungen festlegbar.« Wenn daher Ullrich in seinem Buch schreibt: »Eine der Grundvoraussetzungen der modernen Wissenschaften ist die Vergleichgültigung der Wesensfrage ... Im Gegensatz zur bewußten Selbstbegrenzung, zur Pluralität und prinzipiellen Unabschließbarkeit moderner wissenschaftlicher Forschung wollen Rudolf Steiner und seine Schüler weiterhin die Welt als ein wohlgeordnetes Ganzes gleich einer ewig unwandelbaren Wahrheit erkennen« (S. 110), dann ist eine solche Äußerung – abgesehen von der selbstwidersprüchlichen, »essentialen Wesensbestimmung« von Wissenschaft, die in ihr enthalten ist –, nicht mehr als ein empirisches Beispiel für ein soziales Ausgrenzungsritual, das von einem Angehörigen eines bestimmten Denkkollektivs vollzogen wird.
Eine pluralistische Gesellschaft benötigt keinen erkenntnistheoretischen Gesetzgeber und auch keine Diskurspolizei, die darüber wacht, welche Inhalte zum Diskurs zugelassen werden dürfen und welche nicht. Sie entscheidet selbst über das, was ihr frommt. Und sie erkennt das Wahre an seinen Früchten, nicht an seiner Übereinstimmung mit historisch bedingten Kriterien, die zu überzeitlich gültigen Gesetzen hypostasiert werden.
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