De oogst is weer buitengewoon. Je kunt er gewoon niet omheen. In Duitsland dan. Waar moet ik beginnen? Bij collega Michael Eggert dan maar. ‘Aspekte der Anthroposophie’ schreef hij gisteren:
‘Ein gutes, solides Radio-Feature “Aspekte der Anthroposophie” beim Hessischen Rundfunk – ausnahmsweise fast frei von Polemik. Hier der erste Teil vom 20.2.2011. Momentan hagelt es ja Berichte und Stellungnahmen zu diesem Thema. Es fällt im Vergleich auf, wie selten das ruhige, gute alte journalistische Arbeiten geworden ist. Gegenüber den plakativen, polemischen, aber häufig wenig informativen Beiträgen ragt dieser hinaus: er ist hörbar “vom alten Schlag”. Das muss wirklich nicht schlecht sein.’
Maar zelfs de Zwitserse Straatkrant, ‘Surprise Nr. 244/11 vom 18. Februar bis 3. März 2011’, schrijft erover in ‘Anthroposophie. Auf geistiger Höhenlage’:
‘Im solothurnischen 6500-Seelen-Dorf Dornach liegt das geistige Zentrum Tausender Anthroposophen aus der ganzen Welt. Zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner, dem Begründer dieser Weltanschauung, wagte Surprise einen Annäherungsversuch an eine unbekannte Welt.’
Meer is er nog niet te lezen. Dat gebeurt pas als het volgende nummer uitkomt en dit vanuit het archief oproepbaar is. Voor wat verder in de pers allemaal verschijnt, kunnen we simpelweg het internetportaal ‘Anthromedia’ raadplegen. Met ook een flink aantal radio-uitzendingen, om van de kranten en tijdschriften nog maar te zwijgen. De webpagina wordt constant geactualiseerd, de hoeveelheid en kwaliteit is onvoorstelbaar. In Nederland is de berichtgeving nog lang niet zo! Dus ga ik lekker door met buurten bij onze oosterburen. Eerst met de onaanzienlijke ‘Badische Zeitung’, waarin Bettina Schulte op 19 februari humoristisch schreef over ‘Die Weltzentrale’ (kijkt u vooral ook even naar de mooie foto’s):
‘Rudolf Steiner schuf sich ein solides Gehäuse für seine Lehre: Ein Besuch in Dornach zum 150. Geburtstag des Gründers der Anthroposophie.
Der erste Blick: ungläubiges Staunen. Der erste Eindruck: eine moderne Festung, ein riesiger Bunker, von schwerer Masse und doch zugleich unwirklich wie eine Fata Morgana. Ein Fremdkörper aus grauem Beton vom anderen Stern, über diesen kleinen biederen Schweizer Ort mit seinen 6300 Einwohnern, seinen zwei Kirchen und seinen zahlreichen Vereinen gelegt. Eine eigene Welt, die auf der Homepage der Gemeinde Dornach im Kanton Solothurn nur notdürftig Erwähnung findet. Die Bevölkerungszahl sei durch die Ansiedlung der anthroposophischen Bewegung positiv beeinflusst worden, heißt es da lapidar. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Rudolf Steiner durch das Angebot eines ansässigen Zahnarztes die Chance erhielt, hier das Zentrum für seine Weltanschauung zu errichten, verdoppelten sich die Einwohner Dornachs. Die Spannungen, die daraus entstanden sein müssen, sind heute noch greifbar. Um die Weltzentrale der Anthroposophie herum, das machtvolle Goetheanum, haben sich die Anhänger von Steiners Lehre angesiedelt und seine Ideen von Architektur im bescheidenen Format Stein werden lassen. Wenn man durch die Straßen fährt, begegnet man Menschen, die so gekleidet sind, wie man es von Anthroposophen erwartet: in bunten Naturstoffen mit nicht eben körperbetonten Schnitten.
Die Ghettoisierung der anthroposophischen Gemeinde in Dornach, sagt Wolfgang Held, sei früher schlimmer gewesen. Heute lebe es sich entspannter. Wolfgang Held, ein schmaler, blasser Mann mit klugen Augen, ist im Goetheanum für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er empfängt die Besucherin nicht im Büro, sondern sitzt mitten im hellen, luftigen Empfangsraum des Gebäudes, das von innen eine ganz andere Ausstrahlung hat als von außen. Man schaut durch die großen Fenster hinaus in eine vorfrühlingshafte Parklandschaft, ein paar Kinder rechen die letzten Blätter des Herbstes zusammen, weiter weg, auf einem Hügel, hat sich in der schon intensiven Sonne eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Kommen sie aus dem Dorf oder sind sie Gäste des Goetheanums? Egal. In die Ruhe des Steinerschen Zauberbergs mit dem von Plastiken im Geist des Gründers umsäumten Steiner-Archiv, mit dem floralen Betonturm des Blockheizkraftwerks und der verkleinerten Nachbildung des ersten Goetheanums in Sichtweite sind alle eingelassen, die sich hier aufhalten. An einem normalen Wochentag wie diesem ohne Tagung oder andere Veranstaltung sind es wenige. Aber unter diesen wenigen finden sich auffallend viele Junge. Die weitläufigen Freiflächen um das Gebäude herum bieten reichlich Platz für Flaneure. Warum sie so kahl sind, keine Bäume und keine Blumenkübel die Natur näher an den Monolithen bringen: Darauf weiß auch Wolfgang Held keine rechte Antwort.
Und das will etwas heißen. Denn Wolfgang Held ist ein großartiger Botschafter der Lehre Steiners und ihrer Manifestation in Beton. Großartig, weil er trotz seines Durchdrungen-seins vom Gedankengut der Anthroposophie Struktur und Leitidee des Goetheanums – das Rudolf Steiners Hausgott Johann Wolfgang von Goethe, dem Dichter und Naturkundler auf der Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, die Reverenz erweist – auch für den Nicht-Steinianer nachvollziehbar machen kann. Wie viele Heranwachsende war Held, was er nur kurz streift, in seiner Jugend auf der Suche nach etwas, das größer ist als der materielle Konsum.
Anstelle einer christlichen Prägung geriet er ins Magnetfeld der überkonfessionellen Anthroposophie, die sogar in muslimischen Ländern wie Ägypten ihren Einfluss entfaltet. In diesen Tagen schaut man ja besonders auf dieses Land im Aufbruch, in dem sich der alternative Nobelpreisträger Ibrahim Abouleish unter dem Motto “Wirtschaft der Liebe” schon lange der ökologischen Landwirtschaft verschrieben hat.
1000 anthroposophische Schulen und 2000 anthroposophische Kindergärten gibt es weltweit. Die Gesellschaft für Anthroposophie, die in Dornach natürlich ihren Hauptsitz hat, zählt 50.000 Mitglieder. Die Bewegung, weiß der berufene Experte zu berichten, 800 Kolloquien, Tagungen und Kurse finden jährlich im Allerheiligsten der Lehre statt – am Tag zuvor haben sich hier 700 Landwirte versammelt, die mit anderen Problemen zu kämpfen haben als mit Dioxin. Seit der Finanzkrise, sagt Wolfgang Held, expandiert besonders das anthroposophische Bankwesen. Die vor 30 Jahren gegründete GLS-Bank, die als erste ethisches Banking betreibt, hat gewaltigen Zulauf. Kein Wunder für Wolfgang Held, waren die antroposophischen Banker doch die einzigen, die sich an der Spekulationsblase um faule Immobilienkredite nicht beteiligt haben. Denn Zins für Geld zu nehmen, widerspricht Rudolf Steiners Überzeugungen. Wie ein Apfel verdirbt, wenn er nicht gegessen wird, erklärt Wolfgang Held das Prinzip der Steinerschen Geldwirtschaft, sollte Geld nicht gehortet, sondern in den Umlauf gebracht werden: Sogar einen Negativzins für angehäufte Finanzreichtümer hat er vorgesehen. Reizvolle Vorstellungen, die im globalen Turbokapitalismus so weltfremd wirken wie das Goetheanum in Dornach.
In der Kathedrale der Anthroposophie hat auch das Hirn der Bewegung, die Freie Hochschule für Geisteswissenschaften mit ihren elf Sektionen ihren Sitz. Wolfgang Held möchte die Institution, die anthroposophische Medizin, Landwirtschaft, bildende Künste (Architektur, Plastik, Malerei), Zeitkünste (Schauspiel, Eurythmie, Musik, Figurenspiel), Naturwissenschaft, Mathematik/Astronomie, Sozialwissenschaften und Jugend vereint, als Zukunftslabor sehen. Für diesen Gedanken gerät er fast in Rage – soweit man bei einem nach der Balance von innen und außen, Mensch und Natur, Ich und Anderen strebenden Gemüt davon sprechen kann. 150 Jahre nach Rudolf Steiners Geburt – am 26. Februar 1861 – befinde sich die Anthroposophie in einer schöpferischen Krise, sagt Wolfgang Held. “Sie muss auf eigenen Füßen laufen lernen”. Wie sie sich aber von ihrem Übervater Steiner, dem “Genie” (Held) lösen kann, bleibt im Gespräch im Vagen. Dass Steiner’sches Gedankengut längst in der Mitte der Gesellschaft und ihrem Ratgeberwesen angekommen ist, daran besteht ja kein Zweifel. Doch ob die geistige Dimension der Lehre, die wie jede spirituelle Bewegung davon ausgeht, dass mehr ist hinter der Oberfläche der Erscheinungen, als der gemeine Verstand sich vorstellen kann, in der säkularen Konsumgesellschaft Widerhall findet, ist zweifelhaft. “Wir haben den Mythos verloren”, sagt Wolfgang Held. Man könnte auch sagen: den Sinn. Und er zitiert einen für Außenstehende enigmatischen Satz von Rudolf Steiner: “Schmetterlinge sind Blüten, die lebendig geworden sind.” Esoterik ist für Held kein Schimpfwort.
Entscheidend für den Erfolg der Anthroposophie ist etwas anderes. “Sie gibt Antworten, die sich in der Praxis bewährt haben.” Ob der gigantomanische Bau des Goetheanum auch dazu gehört? Nun ja. Damals, in den Zwanzigern, war das Bauen in Beton revolutionär. Nachdem das erste Goetheanum, ein Holzbau mit zwei Kuppeln im schönsten Jugendstil, nur zwei Jahre nach dem Bau der Brandstiftung zum Opfer gefallen war, wollte der Prophet ein solides Gefäß für seine Lehre schaffen. Das ist ihm mit dieser Trutzburg, deren nach innen gezogene Außenhaut die Korrespondenz zwischen dem Gemäuer und seiner Umgebung symbolisieren soll, mehr als gelungen. Selbst Held muss zugeben, dass Steiner ein großes Rad gedreht beziehungsweise einen “dicken Stein” geworfen hat.
Allein der zentrale Veranstaltungsraum mit seinem Lichtfarbenspiel und einem monströsen Katheter bietet über 1000 Zuhörern Platz. Das in Regenbogenfarben getauchte Hintertreppenhaus nimmt auf den ersten Blick für sich ein – was man von Steiner höchstselbst in viele Meter Holz geschnitzter Weltsicht nicht sagen kann. Wenn Kunst zum Transportmittel für Ideen degradiert wird, verliert sie ihre kreative Kraft und wird zur dürftigen Illustration – weswegen die Anthroposophie in der Ästhetik eher Peinliches wie die Eurythmie hervorgebracht hat. Gerade jemandem wie Rudolf Steiner hätte das klar sein müssen. Man wundert sich.
Die überzeugendsten Ansätze sind auf dem weiten Feld zwischen dem Dienst an der Natur und am Menschen zu verzeichnen. Wenn der Mensch, ein mit Vernunft, Sinnen und Seele und der Fähigkeit zur durch das Rationale hindurch greifenden Erkenntnis (Steiner: “Der Weg zum Herzen führt über den Kopf”) begabtes Wesen im Mittelpunkt des Denkens und Handelns steht – und nicht die Ökonomie, sollte das gerade heute Anlass zu einer Neuorientierung geben. So sieht es jedenfalls Wolfgang Held, der in der Weisheitslehre vom Menschen die Zukunft sieht. “Was die Welt voranbringt, ist immer ein kleiner Bereich”, sagt er. Und beruft sich auf die Grünen-Vorsitzende Renate Künast, die neulich in Dornach gewesen ist und die Anthroposophen animiert hat: “Schließen Sie schamlos Allianzen!” Schamlos: Bei dem Wort zuckt Wolfgang Held ein bisschen zusammen. Aber um Bündnisse geht es, wenn man sich in Verantwortung für die Welt sieht. Bündnisse mit Gleichgesinnten. Mit Food Watch, Greenpeace, mit Thilo Bode und dem Goethe-Institut. Im Jahr des 150. Geburtstags ihres Gründers ist die Anthroposophie, so scheint es, lebendiger denn je.’
Dan heb ik hier de ‘Stuttgarter Nachrichten’ van 18 februari, waarin Markus Heffner schrijft over ‘Von der Uhlandshöhe in die ganze Welt’:
‘JubiläumDie Lehren Rudolf Steiners haben sich vom Osten der Stadt aus verbreitet, wie eine Ausstellung zeigt.
Im Stuttgarter Osten hat alles begonnen. Dort, hoch droben auf der Uhlandshöhe, ist im September 1919 die erste Waldorfschule eröffnet worden – eingerichtet in den Räumen des damals beliebten Ausflugslokals “Zur Uhlandshöhe”, das seinerzeit noch im Kanonenweg stand, der heutigen Haußmannstraße. Wenig später wurde in direkter Nachbarschaft mit dem Eurythmeum eine weitere von Rudolf Steiner inspirierte Einrichtung in Betrieb genommen, und auch die von Steiner gegründete Anthroposophische Gesellschaft legte hier den Grundstein für ihren Sitz.
Noch heute, ein ganzes Jahrhundert später, ist die Uhlandshöhe das Zentrum der anthroposophischen Bewegung, jener von Rudolf Steiner begründeten Weltanschauung, die sich von Stuttgart aus über alle Kontinente hinweg verbreitet hat. Zum 150. Geburtstag des österreichischen Reformers und Philosophen, der am 27. Februar ansteht, wird in diesem Jahr weltweit mit zahlreichen Veranstaltungen an Steiner erinnert, von Manila über Prag und Wien bis Sao Paulo. Im Stuttgarter Kunstmuseum läuft seit Anfang Februar die Sonderschau Kosmos Rudolf Steiner, eine zweite Ausstellung über das Leben und Wirken des bedeutendsten und gleichzeitig umstrittensten Reformers des 20. Jahrhunderts ist nun zudem im Rudolf-Steiner-Haus auf der Uhlandshöhe eröffnet worden.
Die dreiteilige Schau soll Steiners Stuttgarter Zeit zwischen 1882 und 1924 dokumentieren, wofür die Macher in verschiedensten Archiven nach historischen Bildern aus der damaligen Zeit, nach Briefen, Notizbüchern, Postkarten, Programmheften, Zeichnungen und anderen Exponaten gewühlt haben. “Wir wollen zeigen, welche Bedeutung Stuttgart für Steiner hatte und wie entscheidend seine Beziehungen zu den Menschen hier waren”, sagt Andreas Neider, der Herausgeber etlicher anthroposophischer Publikationen und ehemalige Leiter des Verlags Freies Geistesleben.
Die erste sichtbare Spur führt dabei in den Stuttgarter Spemann Verlag, der damals die ersten Schriften des jungen Studenten Steiner über die “Goethesche Weltanschauung” veröffentlicht hat. Damit sei der Grundstein für Steiners Beziehung zu Stuttgart gelegt worden, sagt Neider, der auf Anfrage des Kunstmuseums mit dem Stadthistoriker Harald Schukraft im Jubiläumsjahr ein jüngst erschienenes Buch über Steiner in Stuttgart geschrieben hat. Eine zeitraubende Pioniersarbeit für die Autoren, die sich aber gleich doppelt gelohnt hat. Denn vieles von dem Material, das dabei zu Tage gefördert wurde, ist nun Teil der Ausstellung, die im übrigen dem Buchkonzept folge, so Neider.
Warum hat Steiner ausgerechnet hier seinen geistigen Nährboden gefunden, auf dem er seine Utopien entwarf? Wer hat ihn beeinflusst? Und wer die Umsetzung finanziert? Dies darzustellen sei ein zentrales Anliegen, so Neider, zudem habe man zeigen wollen, welche historischen Orte es noch gibt. Das Haus in der Landhausstraße 70 etwa, in dem Steiner wohnte, das Gustav-Siegle-Haus, in dem er Reden hielt. Das Wohnhaus des befreundeten Fabrikanten del Monte auf der Uhlandshöhe. Die ehemalige Zigaretten-Fabrik Waldorf-Astoria in der Hackstraße, dessen Besitzer Emil Molt, ein Theosoph und Freidenker, bessere Bildungschancen für die Kinder seiner Arbeiter wollte – und damit zum Impuls- und Namensgeber der Waldorfschulen wurde. “Dieses produktive Gemisch aus geistiger Suchbewegung und Erfindertum”, sagt Neider, “war damals typisch für Stuttgart.”’
De twee laatste artikelen stammen maar liefst uit ‘Die Welt’ en ‘Die Zeit’ en zijn niet minder lang dan de vorige. Integendeel zelfs bij ‘Die Zeit’. Maar ook hier weer zeer de moeite waard. Ik begin met Der Menschenfreund’:
‘Vor 150 Jahren wurde Rudolf Steiner geboren, der Begründer der Anthroposophie. Sein Vermächtnis ist heute aktueller denn je. Doch die beste Reformbewegung ist keine, wenn sie nicht bereit ist, sich ständig wieder infrage zu stellen.
Er liebte den Bahnhof. Nicht nur, weil der Vater hier Vorsteher war, sondern weil der Junge die Technik liebte. Die Eisenbahn, den Fortschritt. Deshalb hielt er sich als Kind so gerne in der kleinen Bahnstation im niederösterreichischen Pottschach auf. Dort, wo er, wie Rudolf Steiner viele Jahre später behauptete, als Siebenjähriger ein Erlebnis hatte, das ihm, dem Technikbegeisterten, erstmals die Existenz einer “geistigen Welt” offenbarte: Es war im Jahr 1868, als er im Wartesaal dem Geist seiner Tante begegnet sein will, die sich gerade das Leben genommen hatte und jetzt den Jungen bat, so viel er könne für sie zu tun.
Dass viele, die beginnen, sich mit Rudolf Steiner zu beschäftigen, auf vermeintliche biografische Erlebnisse dieser Art mit Kopfschütteln reagieren, verwundert nicht. Das gilt auch für das Stirnrunzeln, das Steiners Behauptung auslösen mag, in der Akasha-Chronik lesen zu können, einem übersinnlichen Buch, das alles umfassen soll, was jemals in der Welt geschehen ist. Die Reihe der Aussagen in Rudolf Steiners Schriften und insgesamt 6000 Vorträgen, die für den aufgeklärten, naturwissenschaftlich geprägten Menschen merkwürdig klingen, ist lang. Und sie ist im Hinblick auf sein rassentheoretisches Modell, das den unterschiedlichen Hautfarben unterschiedliche Stärken und Schwächen zuschreibt und die “weiße Rasse” als die zukünftige betrachtet, mehr als heikel.
Das alles ändert nichts daran, dass man an Rudolf Steiner heute einfach nicht vorbeikommt. Dass es sich bei dem Begründer der Anthroposophie, der vor 150 Jahren, am 27. Februar 1861 im Bahnwärterhäuschen des heute kroatischen Kraljevic geboren wurde, um eine einzigartige Persönlichkeit handelt. Kein anderer deutschsprachiger Denker des 20. Jahrhunderts prägt mit seinen Lehren und Impulsen heute derart viele Lebensbereiche wie er. Zahlreich waren die Lebensreformer, die seit Beginn der Industrialisierung in Deutschland nach Alternativen zur modernen Welt suchten, zu dem traurigen Dasein in düsteren Mietskasernen, zu Großstadtgesellschaften, die keine Gemeinschaft mehr kannten, zu einer Weltanschauung, die das Jenseits abgeschafft hat und den Menschen auf seine Arbeitskraft reduzierte. Viele hatten einst eine große Anhängerschaft – die meisten sind heute weitgehend vergessen. Rudolf Steiner hat mit der Anthroposophie bei aller Fragwürdigkeit ein Ideengebäude geschaffen, das als Gegenentwurf zur Moderne nie an Aktualität verloren hat und heute aktueller ist denn je. Ob es die Erzeugnisse der von Steiner inspirierten biologisch-dynamischen Landwirtschaft sind, die Naturkosmetik, die ganzheitliche Medizin, die Kunst, die Architektur oder die heilpädagogischen Angebote – keine Weltanschauung prägt den Alltag mehr als die Anthroposophie. Und auch das religiöse Leben hat durch Rudolf Steiner entscheidende Impulse bekommen, die 1922 zur Gründung der “Christengemeinschaft” führten. Heute hat sie in der ganzen Welt Gemeinden.
Zu den wichtigsten Multiplikatoren aber gehören die Waldorfschulen, die sich nicht nur im Hinblick auf die Missbrauchsskandale in kirchlichen Bildungseinrichtungen und Reformschulen vor Anmeldungen kaum retten können. Mehr als 1000 Waldorfschulen gibt es weltweit, davon über 200 in Deutschland. 1945 waren es erst sechs gewesen.
Wie aus einer aktuellen Studie der Universität Düsseldorf hervorgeht, sind Waldorfschüler glücklicher an ihren Schulen als Schüler staatlicher Schulen. Sie haben seltener Angst vor dem Unterricht, den sie in der Regel interessanter finden als die Zöglinge der herkömmlichen Einrichtungen. Das ist kaum verwunderlich bei einem Unterricht, der keine Noten kennt, kein Sitzenbleiben, dafür viel Zeit für Kunst, Musik, Theater und Arbeit auf dem Bauernhof. Wer meint, die jungen Menschen, die nach zwölf Jahren Kuschel-Schule ins echte Leben entlassen werden, seien zum Scheitern verurteilt, der irrt. Der sollte sich die Liste der erfolgreichen Waldorfschüler ansehen, die von Hollywood-Stars wie Sandra Bullock und Jennifer Aniston bis zu Wirtschaftsgrößen wie dem Manager Wolfgang Porsche oder dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Michael Rogowski, reicht.
Die Waldorfschulen vermitteln eben mit ihrer ganz eigenen Methodik nicht nur den üblichen Lehrstoff, sondern auch im verstärkten Maße die im Arbeitsleben gefragten Softskills, zu denen vor allem eine starke freie Persönlichkeit gehört. Das ist das Besondere an der Anthroposophie: diese Besinnung auf das Ich, diese Anregungen, nach dem Sinn zu fragen, selbstbewusst zu sein, aber auch sozial, demütig und dankbar für das Leben, das nach Steiners Ansicht für jeden eine Aufgabe vorsieht. Das sind unschätzbare Lebenshilfen. Trotzdem bleiben viele Fragen, Kopfschütteln und Stirnrunzeln. Weitgehend unbeantwortet ist, wie sich die Zäsur in Steiners Leben erklärt: Sein Sprung vom Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes, der mit Nietzsches Atheismus sympathisierte, zum deutschen Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft und schließlich zum Begründer der Anthroposophie, die die übersinnliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen fördern will.
An einem aber kann kein Zweifel bestehen: Steiner war ein Menschenfreund. Er, der Eisenbahnersohn, der sich mit seinen Studien in Mathematik, Naturgeschichte, Chemie und Physik immer weiter entwickelt hat, war in der Praxis gegen jede Diskriminierung. Daran ändern auch die schwierigen Passagen in Steiners Werk über die Rassen nichts. In Südafrika beispielsweise waren die Waldorfschulen zur Zeit der Apartheid die einzigen, in denen schwarze und weiße Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Was man vielen Anthroposophen indes vorwerfen kann, ist eine Versteinerung. Notwendig ist sicherlich auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Uniformität, die an waldorfpädagogischen Einrichtungen zu beobachten ist und die bisweilen nur schwer mit dem propagierten Anspruch auf individuelle Förderung vereinbar scheint. Auch die mangelnde Diskussionsbereitschaft in Waldorfkindergärten über mögliche Variationen von Ritualen mutet anachronistisch an.
150 Jahre Rudolf Steiner: Die Welt dreht sich weiter. Und die beste Reformbewegung ist keine, wenn sie nicht bereit ist, sich ständig wieder infrage zu stellen.’
Tot slot ‘Die Zeit’ van 17 februari, waarin Martin Spiewak een wel heel omvangrijk artikel heeft geschreven, ook over de vrijescholen, het is eerder een reportage, met als titel ‘Waldorfschule. Eine Schmiede guter Menschen’:
‘Als Alternative zu Leistungsdruck und Pisa-Stress an staatlichen Schulen ist die Waldorfpädagogik heute gefragt wie nie.
Diese Schulen sind ein starkes Stück. 35 Kinder drängen sich hier im Schnitt in einem Raum. Selbst nach zwei Jahren können viele Schüler noch nicht lesen. Die Lehrer der ersten acht Klassen verfügen in der Regel über keine wissenschaftlich anerkannte Ausbildung. Stattdessen folgt ihre Pädagogik den Ideen eines Mannes, der selbst kinderlos blieb, niemals länger vor einer Klasse stand, an die Wiedergeburt glaubte und predigte, ein Lehrer müsse die vorherigen Existenzen seiner Schüler ergründen. Eigentlich dürfte es kaum Eltern geben, die ihre Kinder auf eine solche Schule schicken. Eigentlich sollte man annehmen, dass ihre Schüler kaum etwas lernen. Eigentlich müsste jede Bildungsbehörde diesen Schulen von vornherein die Genehmigung versagen.
In diesem Fall ist alles etwas anders.
Im September 1919 gründete der Vortragsreisende Rudolf Steiner für die Arbeiterkinder der Stuttgarter Zigarrenfabrik Waldorf-Astoria eine Schule. Heute findet man Waldorfschulen in allen größeren deutschen Städten, jedes Jahr kommen neue hinzu. Zwar machen die »Waldis« im staatlich geprägten Schulwesen Deutschlands nur ein Prozent der Schülerschaft aus. Die Ausstrahlungskraft der Waldorfpädagogik reicht aber weit darüber hinaus. Denn sie spricht besonders bildungsbewusste Familien an, hierzulande wie auch international. Mehr als 1000 Schulen weltweit berufen sich auf Steiner. Seine Ideen gehören zu den bedeutenden Exportartikeln deutscher Bildung, neben jenen Wilhelm von Humboldts für die Universität und Friedrich Fröbels für den Kindergarten.
Jeden Morgen rufen die Schüler Gott und die Sonne an
Was steckt hinter der wohl erfolgreichsten pädagogischen Reforminitiative des 20. Jahrhunderts? Warum können nahezu alle Waldorfschulen weit mehr Anmeldungen zählen, als sie Plätze haben? Und das, obwohl die Eltern Schulgeld zahlen müssen und regelmäßig zum Putzdienst eingeteilt werden. Und wie viel von Steiners Weltbild steckt noch in den Schulen?
Es ist halb acht, Berlin liegt noch im Morgengrau. An diesem Tag hat Maja Junge Dienst am Haupteingang der Freien Waldorfschule Kreuzberg und erwartet die Schulgemeinde. Erstklässler mit ihrer Mutter an der Seite, Aktentaschen tragende Kollegen, Jugendliche mit Stöpsel im Ohr: Hunderte ziehen an der jungen Lehrerin vorbei, jeden Einzelnen begrüßt sie mit einem Handschlag. Wenig später wiederholt die Lehrerin das Willkommensritual in ihrem eigenen Klassenraum, verbunden mit persönlichen Worten.
»Ich bin etwas Besonderes« und »Wir gehören zusammen«, mit dieser doppelten Botschaft beginnen die Schüler ihren Tag. Fast eine halbe Stunde verwendet Maja Junge darauf, ihre Schüler in die Waldorfwelt zu entführen. »Ankommen« nennt die Lehrerin das. Eine Kerze verbreitet schummeriges Licht, wenn die Mädchen und Jungen der dritten Klasse Lieder singen, Gedichte rezitieren und, blockflötend ihrer Klassenlehrerin folgend, durch die Tischreihen ziehen. Wie die Zwerge hinter Schneewittchen her. Am Ende der Choreografie rufen die Kinder Gott und die Sonne an, so wie es Rudolf Steiner im täglichen Morgenspruch vorgesehen hat.
Erst dann lässt Maja Junge die Vorhänge zurückziehen, und der eigentliche Unterricht beginnt. Grammatik steht an diesem Vormittag auf dem Lehrplan, so wie gestern und so wie morgen. Drei bis vier Wochen am Stück beschäftigt sich die Klasse mit einem Thema, Epoche genannt. Bücher gibt es keine, ebenso wenig die anderswo obligaten Aufgabenkopien. Die Kinder erarbeiten sich den Stoff selbst, mit dem ganzen Körper. Satzzeichen werden gesungen, Zahlen getanzt, Buchstaben herumgetragen und in Schönschrift im Epochenheft notiert. Natürlich nur mit Wachsmalstiften, die jedes Kind in einem selbst genähten Täschchen verwahrt.
Die Waldorfwelt ist freundlich, weich und geordnet. In ihr hausen – noch lange nach der ersten Klasse – Feen, gute Hexen und biblische Propheten. Sie meidet grelle Farben und harte Winkel, kennt weder Zensuren noch Sitzenbleiben. Kein Schüler muss die Schule verlassen, weil er Leistungsansprüche verfehlt. Bis zuletzt bleibt die Klassengemeinschaft zusammen.
Dieses pädagogische Paralleluniversum zieht längst nicht mehr nur überzeugte Steiner-Anhänger an, die bei einer Eurythmie-Aufführung den »Ätherleib« des Tänzers schweben sehen. In der Kreuzberger Waldorfschule dürften sie klar in der Minderheit sein. Hier vermählt sich die linksalternative Szene mit dem Bildungsbürgertum. Die meisten Eltern sind Akademiker, viele künstlerisch interessiert und finanziell nicht in Not. Menschen wie Thomas Rechlin zum Beispiel, ein 47-jähriger Kaufmann, der für die Schule die Finanzen mitverwaltet. Übersinnliches ist ihm fremd, nach dem Sinn vieler Dinge sollte man jedoch häufiger fragen, sagt er – gerade in der Schule, in der es für ihn um mehr gehen muss, »als Stoff zu pauken und die Kinder für den Lebenskampf zu rüsten«.
Sein Sohn Jonas hat wie die meisten seiner Klassenkameraden bereits den Waldorfkindergarten besucht. Die Sorge der Erzieher um jedes einzelne Kind hat den Vater beeindruckt. In der Schule fand er sie wieder. »Ich sag es einmal pathetisch: An unserer Schule steht der Mensch im Mittelpunkt«, sagt Rechlin. Spricht er von der »Staatsschule«, dann fallen Wörter wie »Drill« und »Selektion«.
Die aufgeheizte Post-Pisa-Debatte treibt den Steiner-Schulen neue Schüler zu. Angesichts unzähliger Reformen erscheint manchen das einstige Experiment Waldorf wie ein Hort der Stabilität. Viele Waldorfschulen berichten, dass sie nach dem Ende der Grundschulzeit eine neue Klasse eröffnen könnten: mit Flüchtlingen aus dem staatlichen System, die dem Leistungsdruck der verkürzten Gymnasialzeit entkommen wollen.
Die Steiner-Pädagogik verspricht dagegen, den Kindern »ganzheitlich«, »individuell« und »integrativ« zu begegnen. Alle drei Sehnsuchtswörter im aktuellen Bildungsdiskurs erscheinen auf der Homepage der Kreuzberger Waldorfschule gleich auf der ersten Seite. Dazu Bilder von Schülern, die musizieren, Theater spielen und Ton kneten. Wer das weitläufige Schulgelände betritt – mit seinen Bäumen und Werkstätten, dem Kindergarten und dem Hort –, wähnt sich in einem grünen, beschaulichen Dorf mitten in einem grauen und lauten Großstadtkiez.
In Kreuzberg hat sich Rechlin auch andere Schulen angeschaut. Das raue Klima dort ließ ihn um seinen Sohn fürchten: »Ich hatte Angst, dass Jonas da etwas auf die Mütze bekommt.« Rechlin nennt es die »Rütli-Angst«. Auch an Waldorfschulen lernen Einwandererkinder, in Kreuzberg sogar recht viele. Doch sie können auf bildungsbewusste Eltern zählen, wie jenen Vater aus Bangladesch, der beim Aufnahmegespräch sagte, er wolle nicht, dass sein Sohn unter lauter türkischstämmigen Jungen der »einzige Ausländer« sei.
Für die soziale Exklusivität nehmen die Eltern nicht nur die drei »Bs« der Mitwirkung – Backen, Bauen, Blechen – in Kauf, sondern ebenso den Vorwurf, einer Art Sekte anheimgefallen zu sein. Thomas Rechlin treibt das nicht um. Einmal hat er ein Buch von Steiner begonnen. Mühsam fand er den Text, an vielen Stellen unsinnig. Er hat es bald aufgegeben. »Im Schulalltag spielt all das zum Glück keine Rolle«, da ist er sich sicher. Tatsächlich gibt es an Waldorfschulen kein Fach Anthroposophie. Das hat schon Steiner ausgeschlossen. Er forderte von den Lehrern jedoch, seine Lehre »organisch in den Unterricht hineinzubringen«.
Wo sieht man die Spuren Steiners in Ihrem Unterricht, Frau Junge? »Nirgendwo«, sagt die Lehrerin und: »überall«. Es komme darauf an, was man von der Waldorfpädagogik wisse. Vor Beginn der Deutschstunde hat sie zum Beispiel einen zwölfzackigen Stern an die Tafel gemalt hat. Seine Spitzen zieren Buchstaben. Die Kinder sehen nur eine leuchtende Zeichnung, die Schülern das Alphabet näherbringt. Eingeweihte erkennen dagegen sofort den tieferen anthroposophischen Sinn. Organe, Charaktereigenschaften, Jahreszeiten, Himmelskörper: Nach Steiner steht alles irgendwie in Beziehung zueinander, so auch die Konsonanten zu den Planeten. Durch den Stern an der Tafel sollen die kosmischen Kräfte ihre inspirierende Wirkung auf die Kinder entfalten. »Ich lasse dieses alte Wissen im Klassenraum leben, ohne dass wir darüber sprechen«, sagt die Lehrerin.
Angehende Lehrer studieren Steiners Glaubenssätze in jedem Kurs
Als Anthroposophin möchte sich Junge nicht bezeichnen, sagt sie. Aber acht Jahre Ausbildung, erst zur Klassenlehrerin, dann zur Eurythmistin am Institut für Waldorfpädagogik in Witten-Annen bei Dortmund haben sie geprägt. Wer hier studiert, trifft auf Steiner in jedem Kurs. Egal, ob es gerade um Mathematik, Geschichte oder Deutsch als Fremdsprache geht: Immer stehen seine Werke auf der Leseliste. Im Kurs Naturkunde werden Pflanzenmetamorphosen nicht nur beschrieben, sondern auch »meditiert«. Und wer möchte, kann seine Diplomarbeit über die »Hierarchie der Engel bei Rudolf Steiner« verfassen.
Gleichzeitig predigen die Dozenten immer wieder, man dürfe aus den anthroposophischen Lehren kein Dogma machen. »Steiner selbst hat gesagt, man solle alles kritisch prüfen, was er geschrieben hat«, betont Gerd Kellermann, der so etwas wie der Sprecher des Instituts ist, das wie alle Waldorfeinrichtungen keinen Leiter hat, sondern kollegial geführt wird.
Eine wissenschaftliche Ausbildung, wie sie das Grundgesetz eigentlich auch für Lehrer von Privatschulen verlangt, wird daraus noch nicht. Steiner-kritische Literatur fehlt im Lehrplan, didaktische Fachzeitschriften sucht man in der Bibliothek vergeblich. Nur einer der zwanzig Dozenten trägt einen Doktortitel. Es ist ein bisschen wie in der Pädagogenausbildung des 19. Jahrhunderts: Lehrer unterrichten zukünftige Kollegen, in Witten-Annen mit viel persönlicher Zuwendung und Erfahrungswissen, aber ohne Bindung an die etablierte Pädagogik. Dafür singt man viel gemeinsam und lernt, schöne Tafelbilder zu malen. Einer Schwestereinrichtung des Wittener Instituts, der Freien Hochschule Mannheim, versagte der Wissenschaftsrat Anfang dieses Monats die Anerkennung.
Die Ausbildung in Witten oder anderswo macht aus ihren Studenten aber keine Jünger, eher solide Handwerker für die Waldorfwerkstatt. Im späteren Schulalltag schleift sich zudem vieles ab. Steiner teilte die Menschen in Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker ein und forderte, die Typen in der Klasse nebeneinanderzusetzen und den Unterricht auf sie zuzuschneiden. So sollte der Sanguiniker im Fach Musik ein Blasinstrument spielen, der Melancholiker dagegen lieber geigen. Maja Junge hält von der Temperamenten-Lehre wenig: »Im Unterricht hilft sie mir nicht weiter.«
Viele Schulen gehen mit dem Steiner-Erbe pragmatisch um
Vermutlich ist ein solcher Pragmatismus inzwischen weit verbreitet und die Versteinerung vieler Kollegien zurückgegangen. Laut einer neuen, bislang unveröffentlichten Studie des Düsseldorfer Erziehungswissenschaftlers Heiner Barz sind nur 13 Prozent der Waldorfschüler in der von Steiner gegründeten Kirche konfirmiert, der Christengemeinschaft, stammen also aus Anthroposophenfamilien. Zwar geben 65 Prozent der befragten Jugendlichen an, sie würden die Ideen kennen, die hinter der Pädagogik ihrer Schule stecken. »Konkret konnten sie aber nicht viel mehr als den Namen Steiner nennen«, so Barz. Die Mehrzahl Ehemaliger sei laut Barz gegenüber der Anthroposophie sogar »indifferent, skeptisch bis negativ« eingestellt. Gleichzeitig zeigten sich die Waldorfschüler zufriedener mit ihrer Schule als Gleichaltrige aus staatlichen Einrichtungen. Sie haben weniger Schulangst, finden den Unterricht interessanter.
Auch die populäre Annahme, Waldis seien am Ende ihrer Schulzeit zwar kreativ, hätten aber ansonsten nicht viel gelernt, stimmt wahrscheinlich nicht. Beim Zentralabitur in Nordrhein-Westfalen schneiden Waldorfschulen zwar etwas schlechter ab als die staatlichen Gymnasien, aber besser als andere Gesamtschulen. Für Österreich hat das Bundesinstitut für Bildungsforschung Bifie Pisa-Daten in den Naturwissenschaften miteinander verglichen. Dabei kam heraus, dass Waldorfschüler – auch wenn man ihre bessere soziale Herkunft berücksichtigt – mit ihren Leistungen im nationalen Schnitt liegen. Ihre Lernmotivation jedoch liegt bedeutend höher.
Noch steht die unabhängige Waldorfforschung am Anfang. Der Mainzer Pädagoge Professor Heiner Ullrich, einer der wenigen Kenner der Szene, findet in den Schulen immer noch ein »beträchtliches Maß an weltanschaulicher Geschlossenheit«. Gleichzeitig betont er, jede Einrichtung sei ein »Kosmos für sich«. Waldorfschulen arbeiten selbstständig und sind nur den eigenen Lehrern und Eltern rechenschaftspflichtig. Kein staatlicher Schulrat schaut vorbei, der Bund der Freien Waldorfschulen in Stuttgart setzt bei Gründung nur die Standards. Später mischt er sich nicht mehr ein.
In allen Waldorfschulen beobachtet man erstaunliche historische Kontinuitäten. Den Jupitertag zum Beispiel, vulgo Donnerstag, sah Steiner für Lehrerkonferenzen vor, und nicht nur in Kreuzberg hält man sich daran bis heute. Jede dritte Klasse beginnt mit der Geschichte von Adam und Eva, in der Oberstufe liest man wie in den zwanziger Jahren den Parzival. Andererseits zeigen sich viele Waldorfschulen experimentierfreudig. In Mannheim spezialisieren sie sich auf Migranten, in Kreuzberg auf Förderschüler. Fünf Kinder mit einem Handicap sitzen in der Klasse von Maja Junge, die dafür Unterstützung von einer Sonderpädagogin erhält.
Alle Schüler müssen einige Wochen auf einem Bauernhof arbeiten
Selbst das bislang geheiligte Klassenlehrerprinzip gilt nicht mehr ungefragt. Von der ersten bis zur achten Klasse begleitet Junge ihre Schüler. Neben den Eltern kennt niemand die Kinder so gut wie sie. Junges Zeugnisse sind Charakterstudien. Aus solcher Verbundenheit kann jedoch aufdringliche Nähe werden, aus Stetigkeit Stümperei. Klassenlehrer müssen – außer in den Fremdsprachen – alle Hauptfächer selbst geben, von denen sie jedoch keines in einem Fachstudium vertieft haben. Sie müssen sich das Wissen selbst erarbeiten und sind ihren Schülern fachlich mitunter kaum mehr als eine Stunde voraus.
Nähert sich die Pubertät, häufen sich in dem »entgrenzten« Verhältnis von Lehrern und Schülern (Heiner Ullrich) zudem die Probleme. In den ersten Jahren sei ihre Klassenlehrerin wie »Gott« gewesen, erinnert sich die 18-jährige Charlotte Streffer. In den oberen Klassen war es dann mit der Harmonie vorbei. Viel mehr Kritisches fällt der redegewandten Oberstufenschülerin mit dem Stoppelhaarschnitt trotz langem Nachdenken aber nicht ein. Dafür unzählige Erlebnisse, die sie immer mit ihrer Schule verbinden wird: das Forstpraktikum, als die Klasse Bäume fällte; die drei Wochen bei einem Bauern in Brandenburg – »noch nie hatte ich so viel körperlich gearbeitet« –; den Schüleraustausch mit Moskau, die Klassenreise auf einem Traditionssegler auf der Ostsee.
Über Steiner hätte Streffer übrigens gern mehr erfahren. Warum mussten zum Beispiel alle Schüler von der fünften bis zur zwölften Klasse in wallenden Gewändern Eurythmie tanzen? »Erklärt hat uns das niemand.«’
2 opmerkingen:
läuft bei euch eigentlich nichts zu seinem 150 igsten geburtstag?
Ja, doch, etwas. Aber offenbar nicht soviel wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
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